Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Auch diese Überlegungen wurden von Ferenczi antizipiert, der die Zentralität der Gegenübertragung als prägendes Pendant der Übertragung bereits erkannt hatte. Er identifizierte die Rolle der wechselseitigen Beeinflussung in der analytischen Beziehung und die entscheidende Bedeutung der Fähigkeit des Analytikers, seinem eigenen Einfluss auf den Patienten Rechnung zu tragen – ein Faktor, der maßgeblich dazu beiträgt, die unvermeidlichen iatrogenen Risiken einer Retraumatisierung einzudämmen. Ferenczi betonte die Implikationen, die die Anerkennung des Analytikers als reale Person für die analytische Behandlung mit sich bringt (Überlegungen, die später in der britischen Schule von Fairbairn, Guntrip und Balint sowie in der amerikanischen Schule von Thompson, Wolstein, Singer, Levenson und vielen anderen mehr aufgegriffen wurden). Ferenczi (1999) nahm wahr, dass seine Patienten die kleinsten Nuancen im Verhalten des Analytikers registrierten und darauf reagierten. So schrieb er 1932 in seinem klinischen Tagebuch: „[Der Patient] spürt aus kleinen Zeichen (Art des Grußes, Händedruck, der Stimme, der Lebhaftigkeit usw.) das Vorhandensein von Affekten“ (S. 51), die ihm über den Analytiker womöglich mehr sagen, als diesem selbst bewusst ist. Ferenczis Beobachtungen ließen die Metapher der leeren Leinwand vielen Analytikern obsolet erscheinen. Sie erhielten in den 1950er Jahren und später, als die Intersubjektivität immer stärker in den Mittelpunkt der Theorie rückte, zentrale Bedeutung für die Perspektive zahlreicher interpersonaler Psychoanalytiker und schließlich auch der relationalen Theoretiker. Freud (1912) beschrieb das Unbewusste des Analytikers mit folgenden Worten: „[…] so soll sich der Arzt in den Stand setzen, alles ihm Mitgeteilte für die Zwecke der Deutung, der Erkennung des verborgenen Unbewussten zu verwerten, ohne die vom Kranken aufgegebene Auswahl durch eine eigene Zensur zu ersetzen, in eine Formel gefasst: Er soll dem gebenden Unbewussten des Kranken sein eigenes Unbewusstes als empfangendes Organ zuwenden, sich auf den Analysierten einstellen, wie der Receiver des Telephons zum Teller eingestellt ist. Wie der Receiver die von Schallwellen angeregten elektrischen Schwankungen der Leitung wieder in Schallwellen verwandelt, so ist das Unbewusste des Arztes befähigt, aus den ihm mitgeteilten Abkömmlingen des Unbewussten dies Unbewusste, welches die Einfälle des Kranken determiniert hat, wiederherzustellen” (S. 381). Das heißt, dem Analytiker dient sein Unbewusstes als hochsensibles Hörgerät, das dem Gebot der Neutralität und Anonymität gehorcht und die Funktion einer leeren Leinwand erfüllt. Das bedeutet, dass der Analytiker sich diszipliniert zu verhalten hat, um die Entwicklung der Übertragung nicht zu gefährden. Unter dem relational- intersubjektiven Blickwinkel betrachtet, scheint Freud in seine Telefonmetapher nachgerade eine Stummstelltaste eingebaut zu haben. So gesehen, war seine Theorie keineswegs intersubjektiv. Der Analytiker benutzt zwar sein Unbewusstes als Instrument zum Hören, doch dem Unbewussten des Patienten wird die gleiche Fähigkeit nicht zugestanden. Freud kam dem wechselseitigen Zuhören näher, als er 1915 in „Das Unbewußte“ schrieb: „Es ist sehr bemerkenswert, daß das Ubw eines
228
Made with FlippingBook - Online magazine maker