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Menschen mit Umgehung des Bw auf das Ubw eines anderen reagieren kann” (S. 293). Indes blieb dieser Punkt in seinem gesamten Werk theoretisch untergewichtet. Ferenczi hatte von Begegnungen mit seinen Patienten berichtet, die Veränderungen in ihm bewirkten und ihn bewogen, den Horizont des psychoanalytischen Verstehens zu erweitern und als Erster überhaupt bipersonale und wechselseitige, also intersubjektive Dimensionen psychischer Erfahrung und Veränderung ernst zu nehmen. So schrieb er: „Begegnen sich zwei Menschen […] zum ersten Mal, so kommt es zu einem Austausch nicht nur bewusster, sondern auch unbewusster Regungen“ (Ferenczi 1999, S. 133), zu einem Dialog „der beiderseitigen Unbewussten“ (ebd.). Mit dieser Formulierung bezeichnete er den unbewussten Austausch, der zwischen Patient und Analytiker immerzu, und zwar in beide Richtungen, stattfindet. Diese Dimension von Ferenczis Arbeit traf in den USA auf besonders fruchtbaren Boden. Auf relationale Konzepte und ihre Anwendungen stützen sich behandlungstechnische Optionen, die teils um eine Theorie organisiert sind, die den intersubjektiven Prozess als einen Dialog „der beiderseitigen Unbewussten“ betonen. Auf diese Weise wird die Aufmerksamkeit des Analytikers auf die Auswirkungen und Widerspiegelungen seiner eigenen Teilhabe wie auch der des Patienten gelenkt. Diese Haltung des Zuhörens ist für relationale Analytiker, die die Intersubjektivität und ihre Anwendungen in der analytischen Begegnung ins Zentrum rücken, paradigmatisch. III. Abb. Intersubjektivität und Feldtheorie im relationalen Denken und in der klinischen Arbeit Die für die Intersubjektivität relevanten Feldtheorien wurzeln in der interpersonalen Theorie der Psychiatrie, die Mitte des 20. Jahrhunderts von Harry Stack Sullivan formuliert wurde, in der sozialpsychologischen Feldtheorie Kurt Lewins und in Merleau-Pontys Konzeptualisierungen, aus denen die lateinamerikanischen psychoanalytischen Feldtheorien Madeleine und Willy Barangers (2008), Enrique Pichon Rivieres (2017) und José Blegers (1967) hervorgingen. In den Vereinigten Staaten tauchte das Konzept des Feldes in der interpersonalen Theorie erstmals in den Schriften von Harry Stack Sullivan, Erich Fromm, Frieda Fromm- Reichmann und Clara Thompson auf. Sullivans Werk erwies sich als wichtigster theoretischer Einfluss. Er betrachtete das Feld als die Arena der von ihm so genannten „interpersonalen Beziehungen“. Diese interpersonalen Beziehungen bildeten den Kern seines gesamten Denksystems und der Art und Weise, wie er den Unterschied zwischen seinem Denken und der zeitgenössischen Psychoanalyse verstand. Seither wurde das Feldkonzept von zahlreichen interpersonalen und relationalen Autoren weiterentwickelt, z.B. von Stephen Mitchell (1988), der sich mit der relationalen Matrix auseinandersetzte. Auch andere psychoanalytische Theorien, z.B. jene Bions und seiner Schüler,
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