Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Anderen hindurchgehen. Er ist demnach nicht einfach „angeboren“, sondern wird nach Winnicotts Meinung im Wesentlichen in der Beziehung zur Anderen „konstruiert“. André Green (1997) betrachtet den Trieb als die Matrix des Subjekts, weil das Ich in der Freud’schen Theorie aus der Interaktion/dem Zusammenstoß von Trieben und äußerer Welt hervorgeht. Green erweiterte Winnicotts Konzept der „optimalen (mütterlichen) Präsenz“ durch seine Konzeptualisierung der optimalen Abwesenheit , die den Symbolisierungs- wie auch Repräsentationsprozessen zuträglich ist. (Greens Dialektik zwischen dem Intrapsychischen und dem Intersubjektiven wird unten näher erläutert.) Jean Laplanches ehrgeizige Neuformulierung der „Grundlagen der Psychoanalyse“ (Laplanche 1989b) enthält eine andere Auffassung der Beziehung zwischen Objekt und Trieb. Laplanche (1999a) kritisiert den „ptolomäischen“ Charakter der Freud’schen Sichtweise, der die individuelle Psyche ins Zentrum ihres Schicksals stellte, und behauptet, dass die grundlegende „anthropologische Situation“ der frühen Kindheit durch die „Priorität der Anderen“ vollständig dezentriert sei. Dies macht den kleinen Menschen, der um die Erwachsene kreist, „kopernikanisch“. Die drastische Asymmetrie zwischen der Erwachsenen und dem Kind, die Laplanche wegen ihrer gewaltigen Konsequenzen für die psychische Struktur des Kindes betont, hängt damit zusammen, dass die Erwachsene ein sexuelles und sprechendes Wesen mit einem Unbewussten ist, das Baby hingegen weder sexuell ist noch sprechen kann und innerlich auch noch nicht geteilt ist. Die/der Erwachsene merkt kaum, dass in der primären Intimität mit dem Säuglingskörper ihre/seine eigene unbewusste infantile Sexualität getriggert wird. Diese unbewusste Sexualität „kontaminiert“ den intimen Austausch mit dem Säugling durch „rätselhafte Botschaften“, die das Baby aufgrund fehlender kognitiver, emotionaler und korporealer Möglichkeiten noch nicht dekodieren kann und die den Trieb und die unbewusste Phantasie in Form eines inneren „Drängens auf Übersetzung“ erzeugen. Laplanche hält diese infantile und ihrem Wesen nach enigmatische Sexualität nicht für angeboren, sondern für ein Implantat der/des realen Anderen, auch wenn die Realität, auf die es ankommt – in einer hochkritischen Überarbeitung Lacans – die Realität der „Botschaft“ ist, eine dritte Realität, die Laplanche der psychischen und der materiellen Realität Freuds hinzufügt. Die menschliche Sexualität – worunter Laplanche durch Phantasie vermittelte Sexualität versteht – kommt von der/dem Anderen und ist als solche entfremdet, dem Ich fremd. (Mehr zu Laplanches metapsychologischer Auffassung der Intersubjektivität s. unten.) Auch Hans W. Loewald , USA, neben Winnicott der einzige nicht französischsprachige analytische Theoretiker, auf den sich die Gruppe der kanadischen frankophonen Analytiker beruft [siehe auch den Eintrag OBJEKTBEZIEHUNGSTHEORIEN], lehnte die vermeintliche Unabhängigkeit des Triebes von Objektbeziehungen ab und formulierte eine „Revision des Triebkonzepts an sich“ (Loewald 1972). Triebe, verstanden als psychische Kräfte, werden seiner Ansicht nach durch Interaktionen im primitiven, unitären psychischen Mutter-Kind- Feld organisiert, d.h. sie sind keine konstitutionellen oder angeborenen Gegebenheiten.

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