Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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interpersonalen Charakter der Herausbildung des sexuellen Unbewussten stützt; und 3. Eine eingeschränkte Akzeptanz innerhalb der Dialektik zwischen den intersubjektiven und den intrapsychischen Dimensionen der Psyche bei Green, Roussillon und anderen „Integrationalisten“. Die Kritiken unterscheiden sich je nach der psychoanalytischen Orientierung ihres Verfassers. Sie problematisieren Themen, die mit der psychoanalytischen Methode und mit der Metapsychologie zusammenhängen. Stärker an der klassischen französischen Psychoanalyse orientierte Autoren fokussieren tendenziell eher auf die Tatsache, dass relationale Anstäze den primären Inhalt des Unbewussten – genauer: die Urphantasien wie Kastration und Ödipus - nicht berücksichtigen und damit die strukturierende Rolle übersehen, die die Geschlechter- und Generationenunterschiede bei der Herausbildung des psychischen Lebens spielen. In der intersubjektiven Orientierung wird die Gegenübertragung zur Selbstenthüllung, und deren Analyse bedeutet, dass der Analytiker dem Patienten sein eigenes affektives Erleben der Sitzung mitteilt. Die durch die Technik der Intersubjektivisten hergestellte Symmetrie zwischen Analytiker und Analysand und die von ihnen geförderte Wechselseitigkeit der Beziehung verhindern, dass die symbolisierende Funktion des Ödipuskomplexes sich manifestieren und einen genuin analytischen Prozess in Gang setzen kann. Im Gegensatz dazu soll der psychoanalytische Rahmen in der klassischen Analyse v.a. durch die Asymmetrie der Beziehung, die an den Generationenunterschied erinnert, auf die ödipale Situation verweisen. Diese Elemente sind Voraussetzung dafür, dass unbewusste Prozesse Ausdruck finden können. Gemäß den unter klassischem Blickwinkel verfassten Kritiken umgehen die relationalen Orientierungen die Komplexität unbewusster Prozesse und vergessen den Widerstand, den diese gegen Evolution und Erziehungsmethoden in Stellung bringen (Anzieu-Premmereur 2000). Andere Kritiker unterschiedlicher analytischer Orientierung machen eher generelle Einwände gegen den Richtungswechsel in der nord- (US-)amerikanischen Psychoanalyse und die hermeneutischen, sozio-konstruktivistischen und narrativen Ansätze geltend (Kahn 2014). Sie kritisieren die Umorientierung der relationalen Schulen vom Trieb zu den Affekten in der klinischen Psychoanalyse und die daraus resultierende Vernachlässigung der Metapsychologie (Anzieu-Premmereur 2000). Sie haben starke Bedenken gegen die Rolle, die das emotionale Sich-Einlassen des Analytikers in der heutigen nordamerikanischen Psychoanalyse spielt. Die Art und Weise, wie die Intersubjektivisten Empathie verstehen und praktizieren, unterscheidet sich erheblich von Freuds Begriff der Einfühlung , den er von Theodor Lipps übernahm, und ist unvereinbar mit seinem Konzept der Versagung , die mit der wohlwollenden Neutralität des Analytikers zusammenhängt und ein wesentliches Element der psychoanalytischen Methode bildet (Kahn 2014). Präziser formuliert: Das emotionale Engagement des Analytikers sowie seine Empathie lenken die Aufmerksamkeit auf die Qualität und den Inhalt des Affekts statt auf seine quantitativen Manifestationen. Daüber hinaus erzeugen sie gemeinsam tendenziell eine Umgebung, die beruhigender wirkt als der klassische analytische Rahmen. Auf diese Weise bleibt, wenn auch mit

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