Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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konzentrieren sie sich mehrheitlich auf die Tatsache, dass die Entdeckung des Freud’schen Unbewussten zu einem Bruch im Subjektivitätsverständnis führte. Ein solcher Ansatz gibt eine Art Misstrauen gegenüber dem phänomenologischen Blickwinkel der Psychoanalyse zu erkennen. III. Ccb. Metapsychologische Erklärung der Intersubjektivität: Laplanches Allgemeine Verführungstheorie Jean Laplanche erweiterte Lacans Position des „traumatischen Realen“ deutlicher in den intersubjektiven Bereich hinein, indem er die rätselhaften Botschaften betonte, die z.T. jenseits der Sprache entstehen und dem Säugling, der sie noch nicht zu begreifen vermag, von der Mutter vermittelt werden. Der rätselhafte Kern widersetzt sich einer endgültigen Erklärung und kann lediglich lebenslang ein ums andere Mal neuübersetzt werden. Die Analytiker-Patient-Beziehung ist hier grundlegend asymmetrisch und der primären Dissymmetrie analog, die der Patient in den ersten Lebensjahren erlebt hat. Indem Laplanche (1999b, 2011) Freuds Verdrängungskonzept durch das der Übersetzung ersetzte, bahnte er den Weg für eine intersubjektive Erklärung der Konstituierung des Unbewussten. In der normalen Kommunikation zwischen einem Erwachsenen und dem Kind übermittelt der Erwachsene aufgrund seines eigenen Unbewussten rätselhafte Botschaften. Das Kind übersetzt diese Botschaften, so gut es kann. Was in der Übersetzung verlorengeht, konstituiert dann das kindliche Unbewusste. Laplanche formuliert eine originäres Bild vom „zwischen-menschlichen“ Ursprung des psychischen Lebens. Für ihn ist die Metapsychologie nicht lediglich eine Konzeptualisierung der Seele, vielmehr muss sie die therapeutische Wirkung der klinischen Psychoanalyse erklären können. Laplanches Theorie beruht auf der vorrangigen Rolle, die der/die Andere – die historischen, realen Erwachsenen oder die älteren Kinder, die den Säugling versorgen – bei der Formierung des sexuellen Unbewussten sowie des Ichs spielen (Laplanche & Fletcher 1993; Laplanche 1999c, 2011). Dieser Primat des Anderen ist auch ein Merkmal der analytischen Situation. Auch wenn Laplanches Theorie Ähnlichkeit mit dem relationalen Ansatz zu haben scheint, unterscheidet sie sich von dem intersubjektivistischen/interpersonalen Paradima doch durch folgende grundlegende Besonderheiten: 1. Die zentrale Bedeutung der infantilen Sexualität für die Formierung der menschlichen Seele und folglich für die Formierung des Unbewussten und des Ichs. (Laplanche definiert die infantile Sexualität ganz anders als die klassische französische Theorie und als Lacan. Diese Sexualität ist, insofern sie das sexuelle Unbewusste miteinschließt, nicht nur pervers und polymorph, sondern auch autoerotisch und primär-masochistisch, an die Phantasie gebunden und nicht prokreativ: Sie ist den Unterschieden der Geschlechter und sogar den Genderunterschieden vorgängig.)

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