Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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zweier Subjekte ermöglicht, von denen das eine bereit ist zu vertrauen und das andere sich zur Verfügung stellt, um mit einer spezifischen Aktion zu reagieren. Eine Begegnung dieser Art kann eine zuvor nicht existente (Neu-)Formierung der Psyche ermöglichen. Dieses Konzept unterscheidet sich von der Idee Jaime Lutenbergs (1995), der in Anlehnung an Bion die Edition als dasjenige definierte, das die psychische Geburt von Persönlichkeitsfacetten des Analysanden ermöglicht, die nie bewusst oder die unbewusst waren, weil sie nicht in die dynamische Region der Psyche einbezogen waren – Persönlichkeitssektoren, die durch die Ich-Spaltung und die darauf folgende Abwehr in symbiotischen Bindungen oder in der Persönlichkeit eingebettet blieben. Die durch die Begegnung erzeugte Struktur war laut Nemirovsky (2018) zuvor in der Psyche nicht enthalten, denn das Subjekt hatte die Erfahrung, an der es nun zum ersten Mal teilhat, noch nicht gemacht. Die Unzulänglichkeiten der defizienten Umwelt hatten eine Begegnung in den frühesten Phasen der Subjektwerdung verhindert. Nemirovsky vergleicht die Edition mit der Erschaffung von Winnicotts subjektivem Objekt. Basierend auf der Begegnung mit einem Objekt wird ein neues Objekt erschaffen, das in der Psyche des Subjekts zuvor nicht existierte. Das erschaffene Objekt unterscheidet sich von demjenigen, das die Umwelt bereithält. Der Begriff „Edition“ bezeichnet Situationen, die zum ersten Mal auftauchen, nicht ihresgleichen haben, neu sind (sie wiederholen nichts, sondern ereignen sich in der Behandlung zum allerersten Mal). Eine Edition unterscheidet sich klar von einer Neuedition oder einer Wiederholung (dem Begriff, mit dem Freud die Wiederholung der Kindheitsgeschichte in Neurosen oder Übertragungsneurosen bezeichnet). In mehreren Beiträgen und vor allem in seinem jüngsten Buch “Lo disruptivo y lo traumático. Vivencias y experiencias” [Das Disruptive und das Traumatische: Gelebte Erfahrung und Erfahrungen] beschreibt Moty Benyakar (2016) „Deutungen, die sich auf gelebte Erfahrungen stützen“ und die individuelle Fähigkeit des Patienten ansprechen sollen, Erfahrungen innerlich zu verarbeiten. Auf diese Weise lässt sich der Rekurs auf „kausale Deutungen“ vermeiden, die bei bestimmten Patienten unwirksam bleiben können. Zu Deutungen, die sich auf gelebte Erfahrungen stützen, zählen drei Typen, nämlich die „figurativen Deutungen“, „relationale Deutungen“ und „Sinndeutungen“. Gustavo Lanza Castelli (2015) erörtert das Mentalisierungskonzept und definiert Mentalisieren als eine vorwiegend vorbewusste, häufig intuitive und emotionale Aktivität. Sie ermöglicht es uns, unser eigenes Verhalten und das Verhalten anderer unter Bezugnahme auf psychische Zustände und Vorgänge zu verstehen. Guillermo Lancelle (1984, 1999) führte Kohuts Werk bei den argentinischen Therapeuten ein. In der Folge wurden Kohuts Konzepte von vielen intersubjektivistisch orientierten lateinamerikanischen Autoren übernommen. Das Winnicott’sche Denken wurde von Painceira (1997, 2002), Pelento (1992) und Valeros (1977) in Lateinamerika eingeführt und gründlich untersucht.

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