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partizipativen Dialogs bestimmten die klinische Praxis der Region. Diese Arbeitsmethode setzt ein hohes Maß an Engagement im analytischen Prozess und eine Priorisierung des subjektiven Erlebens voraus. Zudem erhält die Notwendigkeit, diese Erfahrung zu den kulturellen Kontexten in Beziehung zu setzen, denen die Mitglieder des therapeutischen Paares angehören, besondere Bedeutung. Nach und nach entwickelt sich in Lateinamerika das Konzept der gemeinsamen Konstruktion der Erfahrung, womit ein weiteres Kernkonzept des relationalen/intersubjektiven Denkens Anwendung auf die klinische Begegnung findet. Eine große Zahl lateinamerikanischer Beiträge zur Intersubjektivität findet sich in Artikeln, die in den Online-Zeitschriften Psicoterapiarelacional und Aperturas Psicoanalíticas auf Spanisch veröffentlicht wurden.
IV. INTERDISZIPLINAERE FORSCHUNG: NEUROBIOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER INTERSUBJEKTIVITAET
In der neurobiologischen Literatur der vergangenen 30 Jahre erwies sich die rechte Hirnhemisphäre als dominant für unsere subjektiven emotionalen Erfahrungen (Amanniti 1996, 2009; Wittling 1997; Schore 1999, 2003, 2010). In diesem Kontext wird der „interaktive Affekttransfer zwischen den rechten Gehirnen“ der Mitglieder sowohl der Mutter-Baby- als auch therapeutischer Dyaden als „Intersubjektivität“ bezeichnet (Schore 2016). Von besonderer Relevanz sind Studien über die psychobiologische Intersubjektivität – z.B. Studien über die Mutter-Kind-Beziehung von Ruth Feldman (2007) auf den Gebieten der Synchronizität biologischer Rhythmen, z.B. des synchronisierten Herzschlags, der gemeinsamen Zeitperspektive und synchronisierter Cortisolspiegel bei Babys mit depressiven oder emotional labilen Müttern. Unterschieden wird zwischen zwei Modi der „intersubjektiven Verbindungen“. Der erste ist ein eher unmittelbarer Modus und hängt mit dem neuronalen Spiegelsystem zusammen, das aktiviert wird, wenn eine Person eine andere erblickt und ihr ins Gesicht schaut, um ihren Emotionsausdruck zu identifizieren. Dem Vorgang entspricht gewöhnlich eine innere verkörperlichte Simulation , wie Vittorio Gallese (2001, 2003, 2006) es ausdrückt. Der zweite Modus beruht auf dem Mentalisieren (Frith & Frith 2005; Kernberg 2015), also der Fähigkeit, das Verhalten anderer Menschen zu verstehen und vorherzusagen, indem man ihnen psychische Zustände, die von den eigenen unabhängig sind, zuschreibt. Diese Fähigkeit wird nicht vom Spiegelsystem, sondern vom anterioren cingulären Cortex vermittelt (Amaniti 2008). Die Studien von Delia Lenzi und Claudia Trentini über Mütter, die den emotionalen Gesichtsausdruck ihrer Kinder beobachten – Verzweiflung oder Freude -,
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