Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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KONFLIKT Tri-regionaler Eintrag Interregionales Editorial Board: Christine Diercks (Europa),

Daniel Traub-Werner (Nordamerika) und Héctor Cothros (Lateinamerika) Interregionaler koordinierender Co-Chair: Eva D. Papiasvili (Nordamerika)

“[…] aus diesen Gegensätzen sprießt unser psychisches Leben.” (Freud an Fließ, 19.2.1899, in: Freud 1985, S. 377)

I. EINLEITUNG UND DEFINITIONEN

Freud errichtete die Psychoanalyse auf dem Fundament des psychischen Konflikts – des psychischen Geschehens, das die Interaktion gegenläufiger Kräfte und Tendenzen widerspiegelt. Die Psychoanalyse betont insbesondere die Auswirkungen unbewusster Konflikte, die sie definiert als Interaktionen psychischer Kräfte, deren sich das Individuum nicht bewusst ist. In einem Konflikt prallen widersprüchliche Wünsche, Gefühle, Bedürfnisse, Interessen, Vorstellungen und Werte aufeinander. In der psychoanalytischen Theorie spielt der psychische Konflikt für die Dynamik der menschlichen Psyche eine zentrale Rolle. Der klassischen Auffassung zufolge wird er durch Triebenergie geschürt und durch affektbesetzte Phantasien vermittelt. Psychische Prozesse beruhen ausnahmslos auf der Interaktion widersprüchlicher psychischer Kräfte, die ihrerseits allesamt auf komplexe Weise mit äußeren Stimuli interagieren. Hauptuntersuchungsgegenstände der Psychoanalyse sind unbewusste, latente Aspekte des psychischen Konflikts, die letztlich in verdrängten infantilen Wünschen gründen. Diese unbewussten psychischen Inhalte treten in entstellter Form als Träume, Fehlhandlungen, Symptome, aber auch als kulturelle Manifestationen wieder zutage. In der Freud’schen Psychoanalyse ist der Kernkonflikt der ödipale Konflikt. Dieser Widerstreit zwischen infantilem Wunsch und Verbot ist für die Gesamtdynamik des psychischen Lebens und seine Manifestationen konstitutiv. Abgesehen von seinen dynamischen Eigenschaften hat der Konflikt auch metapsychologische Aspekte: topische (bewusst, vorbewusst, unbewusst), ökonomische (sensorische Überstimulation, Realität und Lustprinzip), genetische (die Abhängigkeit von der Entwicklung der Ich-Funktionen) und strukturelle (Konflikte zwischen Ich, Über-Ich

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