Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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alternative Formulierung dieses Dualismus ist das Gegensatzpaar ödipaler vs. prä- ödipaler Konflikt; 6. Konflikt zwischen widerstreitenden Interessen vs. Entscheidungsdilemma (Rangell 1963) oder analog: konvergente vs. divergente Konflikte (A. Kris 1984, 1985), wobei erstere Konflikte zwischen intrapsychischen Kräften sind, die durch Kompromissbildung gelöst werden können, und letztere – gelegentlich auch als Entweder-oder-Konflikte bezeichnet – solche, bei denen ein Aushandeln unwahrscheinlich ist, weil sie die Entscheidung für eine Seite und infolgedessen Trauerarbeit oder Verzicht auf einen alternativen Kurs erzwingen. Weltweit betrachtet, wird der Konflikt von den unterschiedlichen psychoanalytischen Richtungen mal mehr, mehr weniger stark betont. Dabei sind Unterschiede ebenso wie Überschneidungen zu verzeichnen. An einem Ende dieses Spektrums stehen die zeitgenössische freudianische und kleinianische Schule, in denen der Konflikt weiterhin ein Schlüsselkonzept für die Formulierung der psychischen Entwicklung und des gesamten psychischen Geschehens darstellt. Auf der anderen Seite des Spektrums wäre etwa Kohuts Selbstpsychologie zu verorten, eine Entwicklungstheorie, die auf Defiziten sowie auf dem Erwerb psychischer Struktur beruht. Sie repräsentiert ein völlig anderes Paradigma, das den Konflikt - abgesehen von einer kurzen Erwähnung des durch kollidierende Selbstobjektbedürfnisse entstehenden Konflikts zwischen Mutter und Kind – in den Hintergrund rückt. Wie man den Konflikt konzeptualisiert, ist einer der definierenden Faktoren sowohl der theoretischen Entwicklung Freuds als auch der Entwicklung aller psychoanalytischen Theorien nach Freud.

II. PHASEN DER THEORIEENTWICKLUNG: FREUD

Verfolgt man die Veränderungen, die Freud selbst an seinem Konfliktverständnis vornahm, so lassen sich verschiedene Phasen seiner theoretischen Entwicklung gegeneinander abgrenzen. Symptomatisch ist die einzigartige Weise, wie drei verschiedene Psychopathologien ihre Konflikte zu organisieren versuchen. Hysterisch Kranke konvertieren den Widerstreit zwischen Sexualität und Gesellschaft in körperliche Symptome, so dass ein Konflikt zwischen der Seele und dem Körper entsteht. Zwangsneurotische Menschen verschieben den Widerstreit zwischen einer Vorstellung und dem begleitenden Affekt in einen scheinbar harmlosen Zwang. Paranoide Patienten projizieren ihre unvereinbaren Erfahrungen in die Außenwelt, so dass die innere mit der äußeren Welt in Konflikt gerät. Diese typischen Methoden einer unzulänglichen Bewältigung psychischer Konflikte wurden nach und nach in sukzessive Phasen der Theorieentwicklung strukturiert.

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