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Neuropsychosen“ zusammenfasste (Freud 1894a, b). Im Gegensatz zur Konfliktbildung verstand Freud die Symptome der Aktualneurosen einschließlich Angstneurose und Neurasthenie (Freud 1894c, 1898) nicht als Ausdruck eines normal ablaufenden psychischen Prozesses, sondern als unmittelbares Ergebnis einer toxischen Umwandlung der Libido infolge unzulänglich abgeführter sexueller Energie. Darüber hinaus erkannte er, dass die widerstreitenden Vorstellungen seiner Patientinnen „zumeist auf dem Boden des sexuellen Erlebens und Empfindens“ (Freud 1894a, S. 47) erwuchsen. Er entdeckte überdies, dass diese Vorstellungen mit frühen Kindheitserlebnissen zusammenhingen, und zog den Schluss, dass seine Patientinnen von einer erwachsenen Person sexuell verführt worden waren (Freud 1896, S. 440ff.). Demgemäß sind hysterische Symptome direkte Abkömmlinge unbewusster Erinnerungen an diese Erlebnisse, die rückwirkend, getriggert durch aktuelle Vorgänge, wiederauftauchen und ihren Einfluss entfalten. Freud erläuterte auch, dass diese Kindheitserfahrungen nur solange pathogen sind, wie sie unbewusst bleiben (ebd., S. 447f.). Doch dann schrieb er in seinem berühmten Brief an Wilhelm Fließ vom 21. September 1897: „Ich glaube an meine Neurotica nicht mehr“ (Freud 1985, S. 283). Zur Begründung verweist er auf seine „sichere Einsicht, dass es im Unbewussten ein Realitätszeichen nicht gibt, so dass man die Wahrheit und die mit Affekt besetzte Fiktion nicht unterscheiden kann“ (ebd., S. 284). Als Ergebnis der Analyse seiner eigenen Träume formuliert er am 15. Oktober 1897 eine entscheidende Einsicht: „Ein einziger Gedanke von allgemeinem Wert ist mir aufgegangen. Ich habe die Verliebtheit in die Mutter und die Eifersucht gegen den Vater auch bei mir gefunden und halte sie jetzt für ein allgemeines Ereignis früher Kindheit, wenn auch nicht immer so früher wie bei den hysterisch gemachten Kindern. […] Jeder der Hörer war einmal im Keime und in der Phantasie ein solcher Ödipus, und vor der hier in die Realität gezogenen Traumerfüllung schaudert jeder zurück mit dem ganzen Betrag der Verdrängung, der seinen infantilen Zustand von seinem heutigen trennt“ (ebd., S. 293). Bald hernach aber berichtet er erneut von Fällen erschütternder sexueller Gewalt und proklamiert in einem weiteren Brief an Fließ (aus Goethes „Mignon-Liedern“ zitierend) ein „neues Motto: ‚Was hat man Dir, Du armes Kind getan?‘“ (Ebd., S. 315) Er ließ das Trauma als ätiologischen Faktor nie wirklich fallen, schwankte in seiner Beurteilung, auch wenn er trotz aller Zweifel bezüglich der psychischen Konsequenzen einer erinnerten traumatischen Verführung an seiner Überlegung aus dem Jahr 1897 festhielt, derzufolge „die neurotischen Symptome nicht direkt an wirkliche Erlebnisse anknüpften, sondern an Wunschphantasien, und dass für die Neurose die psychische Realität mehr bedeute als die materielle“ (Freud 1925, S. 60). Fortan ging er von einem Gegensatz zwischen dem Konzept des Traumas und dem Konzept infantiler, triebhafter Wunschphantasien aus, die in der „inneren“ Welt wurzeln und mit Verboten in Konflikt geraten. Das rationale Subjekt der Aufklärung trifft hier auf ein Ich, das von unbewussten Wünschen getrieben wird und auf eine Umwelt reagieren muss, von der es zu Beginn des Lebens extrem abhängig ist. Die Schnittstelle dieser zentralen
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