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Dynamik ist der ödipale Konflikt, der durch die auf unsere primären Objekte gerichteten Liebes- und Hassstrebungen hervorgerufen wird. 1925 schreibt Freud rückblickend: „Ich war da zum erstenmal mit dem Ödipus-Komplex zusammengetroffen, der späterhin eine so überragende Bedeutung gewinnen sollte, den ich aber in solch phantastischer Verkleidung noch nicht erkannte“ (Freud 1925, S. 60). Die Auflösung der konfliktreichen ödipalen Krisen konstituiert die Dynamik des psychischen Lebens und seiner Manifestationen. Das Thema Trauma vs. Konflikt wurde von Freud unterschiedlich beurteilt. In seinen Vorlesungen hebt er zum Beispiel hervor, „dass hier zwischen der Intensität und pathogenen Bedeutung der infantilen und der späteren Erlebnisse ein ähnliches Ergänzungsverhältnis besteht wie in den früher von uns studierten Reihen. Es gibt Fälle, in denen das ganze Schwergewicht der Verursachung auf die Sexualerlebnisse der Kindheit fällt, in denen diese Eindrücke eine sicher traumatische Wirkung äußern und keiner anderen Unterstützung dabei bedürfen, als ihnen die durchschnittliche Sexualkonstitution und deren Unfertigkeit bieten kann. Daneben andere, bei welchen aller Akzent auf den späteren Konflikten liegt und die analytische Betonung der Kindereindrücke durchaus als das Werk der Regression erscheint; also Extreme der ‚Entwicklungshemmung‘ und der ‚Regression‘ und zwischen ihnen jedes Ausmaß von Zusammenwirken der beiden Momente“ (Freud 1916-17, S. 378f.). In seinem Rückblick von 1925 kam er lediglich auf seine Entdeckung der wunscherfüllenden Eigenschaft infantiler Phantasien zu sprechen: „Als ich dann doch erkennen musste, diese Verführungsszenen seien niemals vorgefallen, seien nur Phantasien, die meine Patienten erdichtet, die ich ihnen vielleicht selbst aufgedrängt hatte, war ich eine Zeitlang ratlos“ (Freud 1925, S. 59f.). Je komplexer die psychoanalytische Theorie und die Theorie der Pathogenese in Freuds Formulierungen wurde, desto „überdeterminierter“ und „komplementärer“ wurde das Konzept des Konflikts und seiner Beziehung zum Trauma, seiner mannigfaltigen Ursachen und Konsequenzen: Das Konzept traumatischer Stimulierungen durch äußere Reize, die die Reizschranke durchbrechen (Freud 1920), trat im Laufe der Zeit in den Hintergrund und machte der Definition des Traumas als Hilflosigkeit des Ichs gegenüber realer oder eingebildeter, innerer oder äußerer Gefahr Platz (Freud 1926). Diese Hilflosigkeit kann sich in jeder Phase des Lebens einstellen, ein unreifes Ich aber begünstigt ihre Entwicklung. Sind neurotische Produktionen in reale, sogar traumatische Erfahrungen oder Wunschphantasien eingebunden? Die Frage, was „wahr“ ist – also die Frage nach der Authentizität der Verführungsszenen bzw. ihres fiktiven Charakters -, durchzieht die gesamte psychoanalytische Theoriebildung (Rand & Török 1996, S. 305). Nichts illustriert diese komplizierte Verflechtung besser als Freuds eigene Behandlungsfälle (Freud 1905b, 1909a, 1909b, 1910a, 1911b, 1918). Ilse Grubrich-Simitis (1987, 2000) führt aus, dass es für Freud wesentlich einfacher gewesen wäre, an seiner ursprünglichen Verführungstheorie festzuhalten. Der sexuelle Missbrauch in der Familie war bekannt, stellte aber eine Abweichung von der Norm da. Das Traumamodell hätte die Differenz zwischen Normalität und Pathologie unterstrichen.
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