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und neutrale Akzeptanz all dessen, was der Patient an Material präsentiert, indem er einen inneren Zustand beschreibt, den er Reverie nennt und der voraussetzt, das die in Erinnerung und Wunsch implizierten K-Elemente suspendiert werden, will sagen: Der Analytiker versetzt sich in einen Zustand, der durch Keats „ Negative Fähigkeit “ charakterisiert ist – „das heißt, wenn jemand fähig ist, das Ungewisse, die Mysterien, die Zweifel zu ertragen, ohne alles aufgeregte Greifen nach Fakten und Verstandesgründen“ (Bion 2006 [1970], S. 143). Bion nähert sich recht eigentlich einer dialektischen Lösung innerer Konflikte oder einer – um es mit Hegel auszudrücken (Rosen 2014, S. 138f.) – dialektischen Aufhebung an, indem er einen inneren Zustand des Analytikers beschreibt, der das Oszillieren von PS und D – von Bion mit dem Zeichen PS « D designiert – zu tolerieren vermag. Der späte Bion ersetzt also nicht etwa den Konflikt durch die Emergenz, sondern verortet die Emergenz in einer dialektischen Beziehung mit dem Konflikt. III. E. Donald W. Winnicott Eine objektbeziehungstheoretische Alternative zum Konfliktmodell der Psyche wurde von Winnicott formuliert. Grundlage des Modells ist das Konzept eines primären Entwicklungszustandes, den Winnicott (1945) als Unintegriertheit bezeichnet. Während Klein eher von einer Des-integration der frühen Psyche infolge der auf der infantilen Omnipotenz beruhenden Spaltung, projektiven Identifizierung und weiterer Abwehrmechanismen ausging, vertrat Winnicott die Ansicht, dass die frühe Psyche noch nicht integriert sei. Deshalb ist sie zu Beginn nicht durch einen basalen Konflikt gekennzeichnet, sondern durch das Bedürfnis, sich zu integrierten. Ebendieses Bedürfnis führt dann später zu den von Freud und Klein beschriebenen Konflikten. Bevor primäre Integration stattfindet, gibt es Winnicott zufolge keine psychische Struktur. Freud sowie Klein und Bion stützten ihre Theorie jeweils auf den primären Triebkonflikt und emotionalen Widerstreit, der aus dem Wirken des Lebens- und des Todestriebs hervorgeht und seinen Ursprung im Es hat. Im Gegensatz zu dieser Konzeptualisierung des primären Konflikts postuliert Winnicott einen konfliktfreien Zustand der primären „Unintegriertheit“. Konflikte tauchen erst auf, nachdem die primäre Integration stattgefunden hat. Deshalb kann Winnicott sagen: „ Es gibt kein Es vor dem Ich“ (Winnicott 1962, S. 56). Die Ich-Entwicklung wiederum setzt eine hinreichend gute Mutter voraus, die dem Säugling eine haltende Umwelt bereitstellt, in der er beginnen kann, seine verschiedenen psychischen Anteile zu einem rudimentären Ich zu integrieren. Dann erst tauchen auch Prozesse auf wie die Symbolisierung und die Organisation „persönlicher psychischer Inhalte“, die „lebendigen Beziehungen“ als Grundlage dienen (Winnicott 1960, S. 45). In dieser Phase ist der Säugling, so Winnicott (1962), „noch keine erfahrende oder erlebende Einheit“ (S. 56). Im Gegensatz dazu postulierte Klein ein rudimentäres Ich, einen gewissen Grad an Realitätssinn sowie Projektions- und Introjektionsprozesse von Geburt an. Sie schrieb schon dem Neugeborenen eine Erfahrungsfähigkeit zu.
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