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Einmal mehr wird eine Vorrangstellung der progressiven Zeitlichkeit zum Herzstück der Lacan’schen Kausalität. Die Operation des Après-coup besteht somit darin, vergangene Ereignisse zu restrukturieren und eine unbewusste, in eine Bildung des Unbewussten transkribierte Vergangenheit zu resubjektivieren. Später benutzte Lacan das Bild des Torus, um den Prozess der Nachträglichkeit zu illustrieren. Das Sprechen in den Sitzungen verwandelt sich in verbale Abschweifungen , die durch die Anwesenheit eines Bruchs, einer Lücke im Torus, der Spaltung des Subjekts selbst, erforderlich werden. Diese verbalen Abschweifungen machen es möglich, dass aus dem Torus ein Möbiusband und eine ausdrückbare Botschaft wird. Die Operation des Après-coup wird dann durch Verkehrungen, Umkehrungen und Inversionen dieser verbalen Abschweifungen repräsentiert. Lacan beschrieb die psychische Kausalität des Operierens des Après-coup als „zirkulär und nicht-reziprok“, womit er die Dissymmetrie zutreffend erfasste, die zwischen den beiden Szenen II und I sowie in den Sitzungen zwischen den beiden Protagonisten besteht. Jean Laplanche folgte dieser Konzeption, indem er sie in seine eigene allgemeine Verführungstheorie integrierte, der zufolge die ins kindliche Unbewusste implantierten mütterlichen Botschaften aufgrund ihrer mit ihrem sexuellen Charakter zusammenhängenden Rätselhaftigkeit weiterhin Nachwirkungen oder sukzessive Übersetzungen produzieren. Die Übertragung wird so zu einer unendlichen „Übertragung der Übertragung“. Die gesamte französische Psychoanalyse der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat von Lacans Anregungen profitiert. Viele französische Autoren haben das Konzept des Après-coup gründlich erforscht (Le Guen 1982; Laplanche 1989-90; Chervet 2006, 2009, 2010; André 2009) oder es in ihren Arbeiten über das psychische Funktionieren, die Kausalität, die Zeitlichkeit usw. benutzt (Fain & Braunschweig 1975; Fain 1982; Green 1982; Guillaumin 1982; Faimberg 1993, 1998; Neyraut 1997). Mehrere Tagungen sowie Ausgaben der französischen psychoanalytischen Fachzeitschrift „Revue Française de Psychanalyse“ waren dem Après-coup gewidmet (Revue Française de Psychanalyse 46(3) 1983, „L’Après-coup“; Revue Française de Psychanalyse 70(3) 2006, „L’Après-coup revisité“). Die französische Psychoanalyse hat, insgesamt gesehen, keine Schwierigkeiten mit diesem Konzept, berücksichtigt allerdings oft lediglich die zeitlichen Definitionen. III. B. Nachträglichkeit in der britischen und europäischen Psychoanalyse In der Fortsetzung der Dynamik von Auftauchen – Verschwinden – Wiederkehr ist es hilfreich zu betonen, dass das Phänomen des Après-coup, der Nachträglichkeit, zu einem Schibboleth-Konzept für die französische, britische und amerikanische Psychoanalyse geworden ist. Melanie Klein und ihre Nachfolger interessierten sich zugegebenermaßen vor allem für die erste Phase des traumatischen Ereignisses und für die damit einhergehende
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