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All diese Autoren versuchen letztlich, Verbindungen zwischen der von Winnicott beschriebenen Angst vor dem Zusammenbruch und dem Konzept des Après-coup der französischen Psychoanalyse herzustellen und zu zeigen, dass diese Angst die erste, regressive Bewegung im Prozess des Après-coup begleitet. In Italien betont zum Beispiel Paola Marion (2011) die Nachträglichkeit als einen Mechanismus, der die Arbeitsweise der Psyche kontrolliert und die psychoanalytische Behandlung reguliert. Diskussionen und veröffentlichte Untersuchungen zeigen, dass die Verbindung zwischen den beiden Strömungen möglich ist und dass eine Unvereinbarkeit aus Vereinfachungen resultiert. Zwei Fakten sind hier zu bedenken. Einerseits – und dies gilt seit Freud – ist das Phänomen der Nachträglichkeit – des Après-coup – oft aktiv und wird sogar (an-)erkannt, wenn auch nicht als solches benannt. Andererseits wird der Begriff Après-coup von Analytikern sehr häufig in der heutigen, vereinfachten Bedeutung zur Bezeichnung einer zeitlichen Verschiebung und anterograden Reflexivität benutzt, also ohne die Anziehungen des Unbewussten und die anschließende Arbeit, die gleichermaßen notwendig sind wie das Konzept selbst. Im Grunde können alle psychoanalytischen Studien als Nachwirkungen dessen, was Freud zu seiner eigenen Arbeit motivierte, betrachtet werden. Sie orientieren sich eng an ihm, entwickeln seine Überlegungen weiter, differenzieren sie aus und verleihen seinen Thesen eine neue Bedeutung. Indem sie sich mit Aspekten der Realität auseinandersetzen, die Freud in seinem Werk nicht erforscht hat, bereichern sie es und modifizieren seine Grundaussagen. Eine Rückkehr zu den Konzeptionen der traumatischen Ursache ist notwendig, damit ein neuer Bereich des Denkens auftauchen, mit der vorangegangenen Arbeit integriert werden und das Gesamt neu organisieren kann. III. D. Nachträglichkeit in der lateinamerikanischen Psychoanalyse Unter einer lateinamerikanischen Perspektive betrachtet, ist die von Freud beschriebene „Nachträglichkeit“ die Konzipierung einer nicht-linearen, retroaktiven Zeitlichkeit, eines Wechselspiels von „Vorher“ und „Nachher“. Das Konzept der Nachträglichkeit wird übereinstimmend mit der Entwicklung, die man als Rückkehr zu Freud kennt, in Verbindung gebracht. Obwohl das kleinianische psychoanalytische Denken in der Rio de la Plata-Region bis Ende der 1960er Jahre dominierte, ist Freuds nicht-lineare Konzipierung der psychischen Zeitlichkeit stets präsent geblieben (Pontalis 1968). Die Operation der Nachträglichkeit setzt also zwei Szenen voraus: Das „Nachher“, welches das „Vorher“ konstruiert/konstituiert. Diese Szenen sind asymmetrisch und von unterschiedlicher Materialität: In der „Nachher“-Szene gibt es ein Subjekt, das sich selbst präsent macht und an der Erzeugung der „Vorher“-Szene, in der das Objekt präsent ist, beteiligt ist. Erst in diesem „Nachher“ und mit dem Auftreten des Subjekts ist es möglich, als Trauma die vorhergegangene, die „anteriore“ Szene, die lediglich ein Objekt enthält/enthielt, in einer zirkulären, nicht-reziproken Bewegung zwischen den beiden
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