Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Objektbeziehungstheorien unterscheiden sich in mehreren Kriterien voneinander: I. Beziehung zur Triebtheorie: Klein, Jacobson und Mahler hielten an einer engen Verbindung mit der Triebtheorie fest. Loewald, Kernberg, Sandler und Winnicott sind Beispiele für Objektbeziehungstheoretiker, die mit Varianten der Triebtheorie arbeiten, d.h. mit einem jeweils variierten Triebverständnis, das die Affekte und die Objektbeziehungen als Bausteine der Triebe betont. Fairbairn, Guntrip und Sullivan werden im Allgemeinen als Autoren betrachtet, die sich von der Freud’schen Triebtheorie am weitesten entfernt haben. II. Die Bedeutsamkeit der Aggression für das psychische Leben: Auch wenn Klein häufig eine Fokussierung auf die Aggression zugeschrieben wird, halten kleinianische Analytiker es für zutreffender zu sagen, dass ihre Theorie auf die Spaltung fokussiert, die – wie etwa die Spaltung zwischen Liebe und Hass – eine zentrale Rolle im Seelenleben spielt. III. Die Bedeutsamkeit der realen bzw. der phantasierten Interaktion: Sullivans interpersonale Theorie betonte die reale Interaktion; Kleins Theorie betonte die „Phantasie“ als Repräsentation der Triebe und die Art und Weise, wie diese Repräsentationen das Objekt färben. IV. Die Frage, ob die klinische Situation in erster Linie durch internalisierte Objektbeziehungen oder durch die reale, dyadische Patient-Analytiker- Interaktion geprägt wird: Klein und Kernberg betonten die erste Möglichkeit, Greenberg und Mitchell hingegen die zweite.

II. GESCHICHTE - WURZELN: BAUSTEINE UND/ODER THEORETISCHE PROBLEME

Als theoretisches Problem tauchten die Objektbeziehungen in der Geschichte der Psychoanalyse schon auf, bevor Klein in den 1920er Jahren ihre ersten Beiträge verfasste und die Objektbeziehungstheorie in den 1940er und 1950er Jahren in Großbritannien formuliert wurde. Der Begriff der Objektbeziehungen ist weder Teil von Freuds Metapsychologie, noch gesteht die klassische Triebtheorie der Entwicklung eine über die Theorie der libidinösen Phasen hinausreichende spezifische Bedeutung zu. Dennoch ist das Problem der Objektbeziehungen der klassischen Theorie insofern inhärent, als „Triebe auf Objekte gerichtet sind und Objekte nur dann von Belang sein können, wenn das Individuum einen Trieb besitzt, der es dazu gedrängt, Beziehungen zu Objekten aufzunehmen“ (Rycroft 1995, S. 83f.). Beziehungen und Triebe bilden nicht zwangsläufig einen Gegensatz im formalen Sinn, doch kann die Unterscheidung relevant sein, wenn es um praktische Beurteilungen und klinische Differenzierungen geht. Dies gilt vor allem für die britische Schule der Objektbeziehungstheorie. Infolgedessen hat man die psychoanalytischen Perspektiven häufig in Triebtheorien und Objektbeziehungstheorien unterteilt.

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