Zurück zum Inhaltsverzeichnis
II. A. Wurzeln in Freuds Werk – grundlegende Perspektive: Bedeutung der Identifizierung und des Objektverlustes für die Strukturbildung Freud benutzte den Begriff „Objekt“ in seinen Schriften über zahlreiche Aspekte seiner theoretischen Konzipierungen einschließlich der Motivation, Struktur, Entwicklung, Psychopathologie usw. (Freud 1905, 1914, 1915, 1917a, 1919, 1920, 1923, 1926). Das Freud’sche Objekt bleibt in der normalen wie auch pathologischen Entwicklung immer fest und in erster Linie an den Trieb gebunden (Freud 1905, 1928). Freud erforschte in seinen Schriften verschiedene Schwierigkeiten der Internalisierungs- und Externalisierungsmechanismen sowie der Identifizierungs- und Projektionsmechanismen, die für spätere Objektbeziehungstheorien relevant wurden. Beispiele sind seine Arbeiten über die Melancholie (Freud 1917a) und über die Bildung des Über-Ichs, eines Erbes des Ödipuskomplexes (Freud 1923, 1931, 1938). In seinem Beitrag „Zur Einführung des Narzissmus“, der häufig zusammen mit Trauer und Melancholie (Freud 1917a) thematisiert wird, weil beide Ansätze einer Objektbeziehungstheorie enthalten, formuliert Freud (1914) das Konzept der Objektwahl und unterscheidet zwischen einem frühen narzisstischen und einem späteren anaklitischen Typ. Als Freud (1917a) in Trauer und Melancholie erstmals von “Objektbeziehungen” sprach, beschrieb er die Identifizierung als „Vorstufe der Objektwahl“ (S. 436), „die erste, in ihrem Ausdruck ambivalente Art, wie das Ich ein Objekt auszeichnet. Es möchte sich dieses Objekt einverleiben, und zwar der oralen oder kannibalistischen Phase der Libidoentwicklung entsprechend auf dem Wege des Fressens“ (ebd.). Später scheint Freud die Erklärung des Prozesses, durch den eine Objektbesetzung in der Melancholie durch Identifizierung ersetzt wird, als wichtigsten Aspekt dieser Schrift betrachtet zu haben. Als er einige Jahre später in Massenpsychologie und Ich-Analyse abermals auf das Thema Identifizierung zu sprechen kam, nahm er eine Änderung – oder vielleicht lediglich eine Klärung – vor (Freud 1921). Nun ist die Identifizierung ein Vorgang, welcher der Objektbesetzung vorausgeht und sich von ihr unterscheidet. Im selben Beitrag verwendet er auch wiederholt den Begriff „Introjektion“. So schreibt er, „daß erstens die Identifizierung die ursprünglichste Form der Gefühlsbindung an ein Objekt ist, zweitens daß sie auf regressivem Wege zum Ersatz für eine libidinöse Objektbindung wird, gleichsam durch Introjektion des Objekts ins Ich, und daß sie drittens bei jeder neu wahrgenommenen Gemeinsamkeit mit einer Person, die nicht Objekt der Sexualtriebe ist, entstehen kann“ (Freud 1921, S. 118). Diese Sichtweise der Identifizierung wird in vielen seiner späteren Schriften betont, zum Beispiel in Das Ich und das Es (Freud 1923), wo es heißt, dass die Identifizierung mit den Eltern „zunächst nicht Erfolg oder Ausgang einer Objektbesetzung zu sein [scheint]”, sondern “eine direkte und unmittelbare und frühzeitiger als jede Objektbesetzung” (S. 259). Er legt dar, dass sich dieser Prozess nicht auf die Melancholie beschränke, sondern ein allgemeines Geschehen sei. Diese primären Identifizierungen bilden weitgehend die Grundlage dessen, was wir als den „Charakter“ eines Menschen bezeichnen. Wichtiger noch: Freud weist darauf hin, dass
401
Made with FlippingBook - Online magazine maker