Zurück zum Inhaltsverzeichnis
mit der oben zitierten Passage aus derselben Schrift: „[…] wenn zum Beispiel bei einer sexuell nicht erregten Person eine erogene Zone, etwa die Brusthaut eines Weibes, durch Berührung gereizt wird. Diese Berührung ruft bereits ein Lustgefühl hervor, ist aber gleichzeitig wie nichts anderes geeignet, die sexuelle Erregung zu wecken, die nach einem Mehr von Lust verlangt” (Freud 1905, S. 111). Hier wie anderenorts lässt sich Erregung gemäß der Freud’schen Interpretation ohne Bezugnahme auf den interpersonalen Kontext erklären. Das Konzept des Objekts, wenn auch nicht das der Objektbeziehung, erfährt im zweiten topischen Modell, dem Strukturmodell, bestimmte Veränderungen. Endogen auftauchende, biologisch determinierte Triebe bleiben für Freud das grundlegende Motivationssystem; gleichzeitig erhalten die frühen Beziehungen mehr Gewicht – die Beziehungen also, in denen die mannigfaltigen Triebanforderungen organisiert und befriedigt/frustriert werden. Das Problem der Objektbeziehungen hängt nun mit einer Reihe von Konzepten zusammen, die die Formulierung des Strukturmodells schon vorwegnehmen: Narzissmus (1914), der neue, in Jenseits des Lustprinzips (1920) eingeführte Triebdualismus, die Triebmischung, die Sublimierung der Triebe und schließlich die Identifizierung (1921). Vor dem Hintergrund dieser konzeptuellen Entwicklungen legt Freud die Fähigkeit des Objekts, die Beschaffenheit der psychischen Struktur zu beeinflussen, in Trauer und Melancholie wie folgt dar: „Es hatte eine Objektwahl […] bestanden; durch den Einfluß einer realen Kränkung oder Enttäuschung von seiten der geliebten Person trat eine Erschütterung dieser Objektbeziehung ein. […] Die Objektbesetzung erwies sich als wenig resistent, sie wurde aufgehoben, aber die freie Libido nicht auf ein anderes Objekt verschoben, sondern ins Ich zurückgezogen. Dort fand sie aber nicht eine beliebige Verwendung, sondern diente dazu, eine Identifizierung des Ichs mit dem aufgegebenen Objekt herzustellen. Der Schatten des Objekts fiel so auf das Ich“ (Freud 1917a, S. 435). Der in Trauer und Melancholie beschriebene Prozess – eine im Anschluss an einen Objektverlust erfolgende Veränderung des Ichs – wird in Massenpsychologie und Ich-Analyse (Freud 1921) als Phänomen der Normalpsychologie generalisiert. Ungeachtet dieser konzeptuellen Entwicklungen besitzt das Konzept der Objektbeziehung in der zweiten Theorie des psychischen Apparates ebenso wie in der ersten (topischen) Theorie keinen Explanationswert. Die Implikationen der Objektbeziehungen für die Entwicklung des Menschen werden gleichwohl in Das Ich und das Es (Freud 1923) ausgearbeitet, und zwar mit Blick auf die „Aufrichtung des Objekts im Ich“ (S. 257). Die Strukturierung des Ichs und des Über-Ichs beruht auf einer Reihe von Objektverlusten. So vertritt Freud die Annahme, dass „der Charakter des Ichs ein Niederschlag der aufgegebenen Objektbesetzungen“ sei und dass er „die Geschichte dieser Objektwahlen“ (S. 257) enthalte. Strukturen mit einer Entwicklungsgeschichte, Relikte von Objektbeziehungen, bestehen Seite an Seite mit konstitutionell determinierten Trieben und ihren Schicksalen oder Umwandlungen. Die Auswirkungen des Ödipuskomplexes auf die psychische Strukturbildung werden dementsprechend im Hinblick auf Identifizierungen anstelle zurückgenommener Besetzungen verstanden.
403
Made with FlippingBook - Online magazine maker