Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Wenn wir die Vorstellung einer organisierten „Schule“ einmal außeracht lassen und erneut das Problem der Objektbeziehungen bei Freud betrachten, so entwickelte sich die Theorie der Objektbeziehungen entlang zweier Achsen innerhalb der britischen Psychoanalyse: einerseits innerhalb der Unabhängigen Tradition in der British Society nach 1945 und andererseits im Werk Melanie Kleins und der modernen Kleinianer (Schafer 1997), die die Bedeutsamkeit unbewusster innerer Objektbeziehungen durch ihre Betonung der Projektions- und Introjektionsprozesse unterstreichen. Isaacs (1948) verfasste einen wegweisenden Beitrag über innere Objekte als unbewusste Phantasien über die Beziehung zwischen dem Trieb und dem Objekt. III. A. Klein: Innere Objekte und die Intentionalität der Triebe Melanie Klein schuf die Grundlagen der Objektbeziehungstheorie, die seit den 1970er Jahren über ihre Ursprünge in der britischen Schule hinaus weiterentwickelt wird. Im allgemeinen psychoanalytischen Bezugsrahmen, der auf die zeitgenössischen britischen Kleinianer anwendbar bleibt, hielt Klein an Freuds Verständnis der Triebe als Motivationsprinzip des menschlichen Lebens fest, definierte den Triebbegriff an sich aber neu. Klein selbst war der Ansicht, dass ihre Erklärung der inneren Ursprünge des menschlichen Erlebens mit der klassischen Theorie Freuds übereinstimme und an sie anknüpfe; sie hielt ihr eigenes Werk im Grunde für eine Weiterentwicklung und versuchte insbesondere, ihre Darlegung der inneren Welt unter Rekurs auf Freuds (1923) Theorie der Persönlichkeitsstruktur zu formulieren (vgl. Caper 1988). So baut sich das „Über-Ich als ein Ganzes […] also aus den auf den verschiedenen Entwicklungsstufen aufgenommenen und deren Stempel tragenden Imagines auf“ (Klein 1995 [1929], S. 321). Im Gegensatz zu Freud aber geht Klein davon aus, dass die Triebe irreduzierbar psychologischer oder subjektiver Natur und der Erfahrung zugänglich sind – das heißt, sie sind unauflöslich verbunden mit den Gefühlen und Ängsten des Säuglings. Kleins Verwendung des Begriffs „Objektbeziehung“ beruht daher auf ihrer „Behauptung, daß der Säugling von Beginn des postnatalen Lebens an eine (wenn auch in erster Linie auf ihre Brust konzentrierte) Beziehung zur Mutter aufnimmt, welche die wesentlichen Elemente einer Objektbeziehung, nämlich Liebe, Haß, Phantasien, Ängste und Abwehrmechanismen, enthält“ (Klein 2000 [1952a], S. 84f.). Klein versteht die Triebe unter dem Blickwinkel der primären Objektbezogenheit, denn ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, „daß es Triebstrebungen […], an denen keine äußeren oder inneren Objekte beteiligt sind, nicht gibt. Anders formuliert: Objektbeziehungen stehen im Zentrum des emotionalen Lebens“ (S. 89). Innere Objekte konstituieren laut Klein den Inhalt der unbewussten Phantasie, die ihrerseits ein Grundelement der Triebe an sich darstellt. Diese Position wird ganz besonders deutlich, wenn Klein die Beziehung zwischen Objekten und dem Körper erörtert. Während der Körper für die Phänomenologie der inneren Welt eine zentrale Rolle spielt, betonte sie weiterhin den körperlichen Ausdruck der Triebe anstelle der

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