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„Von Beginn an hat die Psychoanalyse die Bedeutung der frühkindlichen Erfahrungen betont; weshalb aber der äußere Faktor eine so wichtige Rolle spielt, können wir meines Erachtens erst wirklich verstehen, seit wir mehr über den Charakter und die Inhalte der frühen Ängste sowie über das fortwährende Zusammenwirken von realen Erfahrungen und Phantasieleben wissen.“ (Klein 1996 [1935], S. 69) Klein erklärt, dass in „der psychischen Entwicklung […] von Anfang an eine ständige Wechselbeziehung zwischen realen Objekten und solchen, die im Ich errichtet wurden“, besteht (ebd., S. 43). Objektimagines sind daher „Duplikate“ (Klein 1996 [1940], S. 165) realer Situationen. Die Annahme von „Duplikaten“ setzt eine psychische Aktivität (innere Objekte, Repräsentationen und Symbole) voraus, die auf der Vorstellung einer Korrespondenz (im Unterschied zur Wirklichkeitsnähe) beruht. So stellen diese Imagines oder Duplikate „ein phantasmatisch verzerrtes Bild der realen, ihnen zugrunde liegende Objekte“ dar (Klein 1996 [1935, S. 35). Introjektions- und Projektionsvorgänge werden hier nicht lediglich als Abwehrmechanismen betrachtet, sondern als normaler Modus, in dem sich die kindliche Psyche zur Außenwelt in Beziehung setzt. Demnach bildet sich die innere Objektimago um den Kern einer realen Wahrnehmungserfahrung aus; die innere Welt ist von Objekten bevölkert, die sich aus der realen Umwelt des Säuglings und seiner interpersonalen Geschichte herleiten. Während sich die Projektions- und Introjektionszyklen fortsetzen, erkennt der Säugling an einem bestimmten Punkt (erstmals, so Klein, im Alter zwischen vier und sechs Lebensmonaten), dass das gehasste Objekt, das er in seiner Phantasie ausgestoßen und heftig attackiert hat, mit dem nährenden, geliebten Objekt identisch ist, das er in seiner Liebe in sich aufnehmen möchte. Der Säugling beginnt zu realisieren, dass er das Liebesobjekt angegriffen hat. Wenn die persekutorische Überlebensangst der frühen sogenannten paranoid-schizoiden Position, in der phantasmatische Partial- oder Teilobjekte dominieren, von diesem Zusammenkommen der Liebes- und Hassobjekte abgelöst wird, beginnt sich die Angst auf das Wohlergehen und Überleben der Anderen zu konzentrieren, die nun zunehmend realistisch als „ganze Objekte“ wahrgenommen werden. Nach und nach weicht die Verfolgungsangst einem reuevollen Schuldgefühl, schmerzvoller Traurigkeit und tieferer Liebe. Mit der Sehnsucht nach dem, was verlorengegangen oder durch Hassgefühle zerstört wurde, lebt auch ein Drang nach Wiedergutmachung auf. Die Ich-Fähigkeiten wachsen, und die Welt wird vollständiger und realistischer wahrgenommen. Die omnipotente Kontrolle über das nun als real und getrennt erlebte Objekt schwindet. Damit taucht die depressive Position auf. Der Reifeprozess hängt also aufs engste mit Verlust und Trauer zusammen. Roger Money- Kyrle (1955) erläuterte, dass in Kleins Theorie eine natürliche Moral enthalten ist, die auf Liebe und Schuldgefühl beruht und im Laufe der Entwicklung weniger erlernt als vielmehr entdeckt wird. Wenn das Kind die Andere in ihrer Getrenntheit wahrnimmt, wird es sich auch ihrer Beziehungen bewusst. Das bedeutet, dass mit der depressiven Position
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