Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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voranschreitet, desto stärker verlagert sich diese Spaltung auf Ebenen, die der Realität immer näher kommen. Dieser Prozess findet so lange statt, bis die Liebe zu den realen und den internalisierten Objekten und das Vertrauen zu ihnen sicher verankert sind.“ (Klein 1996 [1935], S. 72) Gestützt auf Freuds Theorien formulierte Klein (1927, 1932, 1937, 1952a, 1952b) die Hypothese, dass die gesamte innere Welt aus mannigfaltigen Internalisierungen - inneren Objekten – aufgebaut werde, und zwar durch Prozesse, die schon in den ersten Lebenstagen einsetzen. In kleinianischer Sichtweise ist das innere Objekt: 1. eine Phantasie; 2. ein Körperteil, zum Beispiel “die Brust” oder “der Penis”; 3. es ist erfüllt von Lust- und Unlusterfahrungen; 4. es wird als lebendige Präsenz erlebt; 5. es wird defensiv und zum Schutz vor Aggression in “ausschließlich gute” und “ausschließlich böse” Teile gespalten. Wenn in der Entwicklung alles gut geht, werden diese Partialobjekte zu ganzen Objekten integriert. 6. Innere Objekte können „gut“ sein, doch Kleins Arbeit konzentrierte sich (wenngleich nicht exklusiv) auf innere „böse“ Objekte; 7. alle Repräsentationen des Objekts und des Selbst werden durch fortlaufende Projektions- und Introjektionsprozesse aufgebaut; infolgedessen kann zwischen diese Objekt- und Selbstrepräsentationen nie vollständig getrennt werden; 8. das innere Objekt unterscheidet sich vom äußeren Objekt: Das äußere Objekt ist definiert als eine Repräsentation des Objekts, das nicht in den Körper aufgenommen – verinnerlicht – wurde. Die psychische Entwicklung verläuft von der paranoid-schizoiden Position, die ganz im Zeichen defensiver Prozesse der Spaltung und projektiven Identifizierung steht und durch Partial-/Teilobjekte (sowie Teile des Selbst) charakterisiert ist, zur depressiven Position, die sich durch eine Toleranz für ambivalente Gefühle und durch die Integration verschiedener Partialobjekte zu ganzen Objekten auszeichnet. Eine Psychopathologie spiegelt eine Fixierung an Aspekte der paranoid-schizoiden oder depressiven Position bzw. deren Wiederaufleben wider. Laut Klein (1929, 1946) hängen sämtliche (mit inneren Objekten assoziierte) Internalisierungsprozesse mit der Bewältigung der Angst zusammen, die eigenen guten Objekte durch die eigene Aggression beschädigt zu haben. Man hat Klein zwar aus vielerlei Gründen zunehmend mit der Tendenz identifiziert, die Aggression zu beobachten und zu bearbeiten – u.a. um Abrahams eher vernachlässigtes theoretisches Verständnis auszuarbeiten - (siehe oben, Punkt 6); ihre Theorie sah aber auch angeborene libidinöse Tendenzen vor und fokussierte auf Faktoren, die die Introjektion des guten inneren Objekts verhindern und zum Erhalt des guten Objekts sowie guter Selbstaspekte beitragen. Ihre theoretischen Interessen galten den frühen und unbewältigten ödipalen Konflikten, die vom Spaltungsmechanismus beherrscht werden: „[…] eines der unerwarteten Phänomene, die ich entdeckte, [bestand] in einem sehr frühen und grausamen Über-Ich. Ich stellte zudem fest, daß kleine Kinder ihre Eltern – zunächst die Mutter und ihre Brust – in phantasmatischer Gestalt introjizieren; zu dieser Schlußfolgerung veranlaßte mich die Beobachtung des

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