Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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In seinen späteren Schriften arbeitete Bion (1962; 1963) die Theorie des Projektions-Introjektionsprozesses im Rahmen seines Container-Contained-Modells aus und beschrieb die kreativen, dem Leben zuträglichen, aber auch die destruktiven Aspekte des Zusammenwirkens der kindlichen projektiven Identifizierungen und der Rezeptionsfunktion der Mutter (siehe auch den Eintrag CONTAINMENT: CONTAINER-CONTAINED). III C. Fairbairn: Objektbeziehungen und dynamische Strukturen Ronald Fairbairn (1952) verlieh der Psychoanalyse Mitte des 20. Jahrhunderts eine neue Gestalt, indem er der menschlichen Interaktion eine Vorrangstellung zuschrieb. Sein genuiner Paradigmenwechsel maß den Beziehungen und dem Beziehungsgeschehen Priorität gegenüber einer „Triebpsychologie“ (Fairbairn, 2007 [1943], S. 89) bei. In einer Reihe von Artikeln, die während der 1940er Jahre entstanden (vgl. Fairbairn 1952, Part I) und einen höchst originären Beitrag zum objektbeziehungstheoretischen Denken darstellen, arbeitete er eine systematische, kohärente Alternative zur klassischen Triebtheorie aus. Die kleinianische Entwicklung war für ihn von entscheidender Bedeutung, und zwar insbesondere die Überlegung, dass das Objekt dem Trieb von Anfang an eingeschrieben ist. Nur wenn Objektbeziehungen im Licht des Klein’schen Konzepts der inneren Objekte erforscht werden, sind laut Fairbairn „nennenswerte Ergebnisse für die Psychopathologie“ (ebd., S. 90) zu erwarten. Ausgehend von dem zielgerichteten Charakter des Triebs formulierte Fairbairn zwei weitere Hypothesen: (i) „Das eigentliche Ziel der Libido ist das Objekt“ (Fairbairn, 2007 [1941], S. 60, passim), und (ii) Energie und Struktur sind „untrennbar miteinander verbunden“ (Fairbairn, 2007 [1944], S. 160). Diese beiden Annahmen fundieren seine „auf der Grundlage dynamischer Strukturen beruhende[] Beziehungspsychologie“ (ebd., S. 161). Diese Psychologie konzipiert nicht nur die basalen wissenschaftlichen Prinzipien der klassischen Libidotheorie neu, sondern wies der kleinianischen Entwicklung der britischen Psychoanalyse auch eine entschieden objektbeziehungstheoretische Richtung. So konstruierte Fairbairn das erste kohärente theoretische Modell der Objektbeziehungen entlang dreier miteinander zusammenhängender Achsen: (i) einer originären Theorie der emotionalen Entwicklung, (ii) einer alternativen Theorie der psychischen Strukturbildung und (iii) einer revidierten Psychopathologie der Psychosen und Psychoneurosen. 1. Fairbairn postuliert einen Entwicklungs prozess , der durch die Art und Qualität der Objektbezogenheit charakterisiert ist. Sein Entwicklungsschema orientiert sich an dem Kriterium der relationalen Reife und sieht folgende Stadien vor: (i) das Stadium der frühkindlichen Abhängigkeit (entspricht der oralen Abhängigkeit), das vor allem durch eine Haltung des „Nehmens“ charakterisiert ist und sich weiter unterteilt in eine früh-orale Phase (inkorporierend- saugend oder ablehnend) und eine ambivalente spät-orale Phase (inkorporierend – saugend oder beißend); (ii) ein Übergangsstadium, das den beiden von Abraham (1924) beschriebenen „analen

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