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„[…] sich der auf der frühen oralen Stufe im Zusammenhang mit Objektbeziehungen auftauchende emotionale Konflikt als Alternative ‚Saugen oder nicht Saugen‘ und das heißt ‚Lieben oder nicht Lieben‘ darstellt. Dieser Konflikt liegt dem schizoiden Zustand zugrunde. Der Konflikt hingegen, der die spätere orale Stufe kennzeichnet, stellt sich als Alternative ‚Saugen oder Beißen‘, das heißt ‚Lieben oder Hassen‘, dar und bildet die Grundlage des depressiven Zustands.“ (Fairbairn, 2007 [1941], S. 79) Die entscheidende Frage, die sich dem schizoiden Individuum stellt, lautet also, wie es lieben kann, ohne das Objekt durch seine Liebe zu zerstören; das depressive Individuum wiederum steht vor dem Problem, wie es lieben kann, ohne durch Hass zu zerstören. Das schizoide Dilemma ist charakterisiert durch die Vergeblichkeit – das Kind hat das Gefühl, dass mit seiner Liebe etwas nicht stimmt. Der Depressive hingegen erlebt Ambivalenz- und Schuldgefühle und macht seinen Hass für die Situation verantwortlich. In seinem Beitrag „Eine revidierte Psychopathologie der Psychosen und Psychoneurosen“ von 1941 beschreibt Fairbairn eine Typologie, der er vier „Techniken“ zugrunde legt – Möglichkeiten, das „akzeptierte“ und das „abgelehnte“ Objekt zu behandeln, die sich im Laufe der schizoiden Position entwickeln. Die Art der im Stadium der frühkindlichen Abhängigkeit gebildeten Objektbeziehungen gibt vor, welche der vier Techniken in der Phase des Übergangs von der infantilen zur reifen Abhängigkeit zum Einsatz gelangt bzw. in welchem Umfang die Techniken jeweils eingesetzt werden. Diese Typologie umfasst (i) die zwangsneurotische Technik, bei der sowohl das akzeptierte als auch das abgelehnte Objekt internalisiert werden; (ii) die paranoide Technik, bei der das akzeptierte Objekt internalisiert, das abgelehnte externalisiert wird; (iii) die hysterische Abwehr, die zur Externalisierung des akzeptierten Objekts und zu Internalisierung des abgelehnten führt; und schließlich (iv) die phobische Position mit Externalisierung sowohl des akzeptierten als auch des abgelehnten Objekts (vgl. ebd., S. 75). Die Spaltung des Ichs wird als grundlegender Faktor jeder Psychopathologie betrachtet. Mithin weicht die ätiologische Unterscheidung, die auf den gegen spezifische Triebstrebungen (Saugen, Beißen) gerichteten Abwehrmechanismen beruht, einer durch und durch objektbeziehungstheoretisch orientierten Psychopathologie. Die theoretische und klinische Betonung, die dieses revidierte Modell der Psychoanalyse setzt, wird vor allem deutlich, wenn Fairbairn behauptet, dass Patienten, die als „depressiv“ diagnostiziert werden, häufig einen „schizoiden“ Charakter hätten; die hysterischen Dissoziationsphänomene beispielsweise sind „mit einer Spaltung des Ichs verbunden […], die grundlegend identisch ist mit derjenigen, welcher der Begriff ‚schizoid‘ seine etymologische Bedeutung verdankt“ (Fairbairn, 2007 [1944], S. 125). Die diagnostische Verallgemeinerung betrifft „Normalität“ wie auch Pathologie, denn „jeder von uns [beherbergt] in den tieferen Schichten seiner Psyche schlechte Objekte“ (Fairbairn, 2007 [1943], S. 95).
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