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Libidosituation des fötalen Lebens mit ihrer intensiven Besetzung der Umwelt wieder zu erschaffen: „Allerdings ist diese Umwelt wahrscheinlich undifferenziert; einerseits gibt es in ihr noch keine Objekte, andererseits ist sie kaum strukturiert. Vor allem gibt es zwischen ihr und dem Individuum keine scharfen Grenzen. Umwelt und Individuum durchdringen sich gegenseitig, sie existieren in einer ‚harmonischen Verschränkung‘“ (Balint 1987 [1968], S. 75). Balint behauptet, dass die Geburt den Gleichgewichtszustand zerstört und auf diese Weise die Trennung des Menschen von seiner Umwelt einleitet. Ganz wie von Rank (1924) beschrieben, initiiert das Trauma der Geburt die Objektbeziehung: „Objekte einschließlich des Ichs scheiden sich aus der Verschmelzung der Substanzen aus, die Harmonie mit dem Grenzenlosen zerbricht“ (ebd., S. 76). Die erste Phase des extrauterinen Lebens ist keine narzisstische, sondern infolge des vorgeburtlichen Erlebens auf Objekte orientiert. Zu Anfang hielt Balint (1937, S. 98f.) diese frühe Objektbeziehung für passiv; er beschrieb die motivationale Einstellung des Säuglings wie folgt: „ Ich werde geliebt und befriedigt werden, ohne verpflichtet zu sein, etwas zurückzugeben .“ Dies ist und bleibt, so Balint, „das letzte Ziel allen erotischen Strebens“ (ebd., S. 99). Die primäre Objektliebe „ist an keine erogene Zone gebunden; sie ist keine orale, oral-saugende, anale, genitale usw, Liebe, sondern etwas ganz und gar Eigenständiges “ (ebd., S. 101; Hervorhebung ergänzt). Auf diese Weise versuchte Balint, den Erfahrungsbereich des frühen, primitiven menschlichen Lebens über den oralen Bereich hinaus zu erweitern (Balint 1951, S. 156). Dies führte jedoch nicht nur zu einem Bruch mit der klassischen Triebtheorie. Balint behauptete auch im Widerspruch zu Fairbairn, dass die Libido sowohl lust- als auch objektsuchend sei. Die Hypothese der „objektsuchenden Libido“ wird entsprechend revidiert: „Zusätzlich zu der schon wohlerforschten Eigenschaft der Libido, nämlich ihrem Streben nach Lust, zeigen klinische Beobachtungen zweifelsfrei, dass die objektsuchende Tendenz zumindest gleichermaßen bedeutend ist“ (Balint 1956, S. 291). 2. Reife, aktive Objektliebe, wie Michael Balint sie beschreibt, geht mit einer Rekapitulation der ursprünglichen Bedürfnisbefriedigung auf zahlreichen „Umwegen“ einher: „Die so häufig, so regelmäßig gefundene Entwicklungsreihe der anal- sadistischen, phallischen und schließlich genitalen Objekt beziehungen wäre also nicht biologisch, sondern sozial begründet“ (Balint 1988 [1935], S. 60f.). In entsprechender Weise werden primäre Phänomene der Freud’schen Triebtheorie als ein Umweltversagen verstanden, das die „Grundstörung“ nach sich zieht. Vor allem die Aggression erweist sich so als Reaktion auf Versagung und nicht als Ziel an sich, genauer: In Balints Augen ist Hass stets ein reaktives, sekundäres Phänomen und nicht einer der basalen, primären Triebe, mit denen das Individuum ausgestattet ist. Ganz ähnlich versteht er den Narzissmus als eine libidinöse Besetzung der Autoerotik infolge von Versagungen oder Entbehrungen, die das Kind erlitten hat. 3. Die Unterscheidung zwischen „gutartigen“ und „bösartigen“ Formen der Regression (Balint 1987 [1968], Teil IV) beruht im Grunde auf einem klar definierten „Mischungsmodell“. Gutartig ist die Regression in der therapeutischen Beziehung und
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