Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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auf der Basis primärer Beziehungsbedürfnisse; bösartig ist sie, wenn ihr infantile Triebanforderungen zugrunde liegen. Folgerichtig behandelte Balint die therapeutischen Aspekte der Regression im Kontext seiner revidierten Psychopathologie der Objektbeziehung (siehe den Eintrag REGRESSION). Das klassische freudianische Modell – beruhend auf der Deutung des Widerstandes und auf Einsicht zielend – geht davon aus, dass Patienten das, was ihnen in der analytischen Beziehung zur Verfügung gestellt wird, internalisieren oder in sich aufnehmen können; dass Deutungen als Deutungen und nicht als irgendetwas anderes erlebt werden; und dass das Ich der Aufgabe des Durcharbeitens gewachsen ist. Das revidierte Modell wird im Fall der hochnarzisstischen, Borderline- und psychotischen Patienten notwendig – in Fällen also, in denen die zentrale Stellung des Ödipuskomplexes keineswegs vorausgesetzt werden kann -, aber auch dann, wenn die direkte Deutung primitiver prä-ödipaler Zustände Gefahr läuft, eine negative therapeutische Reaktion auszulösen oder den Patienten zu gehorsamer Fügsamkeit zu veranlassen. In diesem Sinn leistete Balint in der Tradition Ferenczis und der Budapester Schule einen wichtigen Beitrag zu unserem Verständnis der therapeutischen Beziehung im Falle regredierter Patienten. Die relationale Sichtweise der menschlichen Natur verbindet sich hier mit einer triebgestützten, lustorientierten Sicht der Motivation des Menschen – eine Kombination, die für Balint theoretisch wie auch klinisch unhintergehbar war. III. E. Winnicott: Primitive emotionale Prozesse und interpersonale Beziehungen Donald Winnicott verstand seinen Beitrag zur Psychoanalyse als einen wesentlichen Bestandteil der Freud-Klein-Tradition, formulierte aber gleichzeitig eine radikal neue Theorie der Objektbeziehungen. Seinen Lesern gibt dies nach wie vor Anlass zu intensiven Diskussionen: zum Teil pochen sie auf die freudianischen Quellen und Grundlagen von Winnicotts theoretischen Weiterentwicklungen (Green 1999, S. 199f.; Abram 2013, S. 1), zum Teil wollen sie ihn unbedingt in diametralem Gegensatz zur klassischen Theorie sehen (Rycroft 1995, S. 197; Fulgenicio, 2007; Loparic, 2010). 1. Winnicott (1988) fasste seine Objektbeziehungstheorie in ein Modell der normalen Entwicklung, das Gesundheit gleichsetzt mit der „Kontinuität des Seins“ (S. 127). Eine Grundannahme der Psychoanalyse ist in seinen Augen die Überlegung, „dass Gesundheit eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Psyche impliziert und gleichbedeutend ist mit einer dem Alter des Individuums entsprechenden, reifen emotionalen Entwicklung“ (Winnicott 1954, S. 281). In diesem Sinn beschreibt er eine ontologische Progression, die folgende Entwicklungsschritte umfasst: (i) „von einer Beziehung zu einem subjektiv aufgefassten Objekt zu einer Beziehung zu einem objektiv wahrgenommenen Objekt“ (Winnicott 1960, S. 45); (ii) von absoluter Abhängigkeit über relative Abhängigkeit zu einer Eigenständigkeit, die eine internalisierte Umwelt impliziert (vgl. Winnicott 1963b); und (iii) vom primären unintegrierten Zustand der Persönlichkeit zur der organisierten individuellen Persönlichkeit, für die eine ödipale Struktur charakteristisch ist.

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