Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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dieses Konzept sich auf die Wirkung von inneren und äußeren Erfahrungswelten bezieht und dass Repräsentanzen, unabhängig von der konkreten Realität, der Verzerrung und Abwandlung unterworfen sind“ (Fonagy, 2003 [2001], S. 65). Sie verstand die Selbstkonzepte als komplexe Strukturen einschließlich der „unbewußten, vorbewußten und bewußten intrapsychischen Repräsentanzen des körperlichen und seelischen Selbst im System Ich“ (Jacobson 1973 [1964], S. 30). In ihrem wegweisenden Werk The Self and The Object World (Jacobson 1964; dt. 1973) nahm Jacobson insbesondere eine Revision von Freuds Überlegungen zur Entwicklung von Libido und Aggression vor, indem sie den funktionalen Einfluss der Triebe erweiterte. Ihr Ziel bestand darin, relationale Ansätze mit der klassischen metapsychologischen Theorie zu verbinden, d.h., den ökonomischen Gesichtspunkt mit der Phänomenologie der menschlichen Erfahrung in Einklang zu bringen, weil sie den Eindruck hatte, dass ebendiese Erfahrung Licht auf die Rolle unserer Beziehungen zu anderen wirft. Sie benutzte zwei komplementäre theoretische Strategien, um dieses Ziel zu erreichen. Zum einen lenkte sie den Fokus auf die Art und Weise, wie sich das Kind in seiner Umwelt wahrnimmt – also auf die „repräsentationale Welt“, um den Begriff zu verwenden, den Sandler und Rosenblatt (1962) prägten. Die repräsentationale Welt des Kindes geht aus einem angeborenen psychobiologischen Substrat hervor. Jacobson betrachtete die Triebe des Kindes nicht als etwas „Gegebenes“, sondern als „angeborene Potentiale“, die - vor allem im Kontext früher Beziehungen - sowohl durch innere Reifungsfaktoren als auch durch äußere Stimuli geprägt werden und ihrerseits die repräsentationale Welt des Kindes beeinflussen. Dieser biologische Ansatz ermöglichte es ihr, Verbindungen mit den früheren Trieb-Struktur-Modellen aufrechtzuerhalten. Jacobsons zweite Strategie war eine Revision der ökonomischen Prinzipien an sich, die sie zu der Schlussfolgerung bewog, dass es notwendig sei, „die energetische Theorie mit den Schicksalen der Objektbeziehungen“ zu vereinbaren (Greenberg und Mitchell 1983, S. 306). Laut Jacobson bilden die Lust- und Unlusterfahrungen des Säuglings den Kern seiner Beziehung zur Mutter (Trieb-Struktur-Modell). Von Beginn an wird Erfahrung gemäß diesem affektiven Erleben gespeichert. Sie postulierte, dass die emotionale Tönung der allerersten Erfahrungen zur Konsolidierung von Libido und Aggression beiträgt und das Fundament für die Selbst- und Objektimagines legt, die maßgeblich für die Gefühle verantwortlich sind, die wir schließlich gegenüber uns selbst und anderen Menschen hegen werden. Frustrierende oder verstörende Erfahrungen lassen die Imagines einer frustrierenden Mutter, die Gutes vorenthält, und eines wütenden, frustrierten Selbst entstehen; positivere Erfahrungen hingegen sind dem inneren Bild einer liebevollen, gebenden Mutter und eines glücklichen, zufriedenen Selbst zuträglich. Auf diese Weise trägt Jacobsons Theorie dem Zusammenwirken von realen Erfahrungen einerseits und Trieben andererseits Rechnung. Jacobon (1954) erläuterte, dass das Selbsterleben in der Phase vor der Herausbildung der Selbst-Objekt-Grenzen, in der die allerersten Imagines noch miteinander verschmolzen sind und keine abgegrenzten Einheiten bilden, auf der Ebene der psychischen Repräsentation direkt

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