Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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durch die kindliche Wahrnehmung der Anderen geprägt wird. In diesem Zustand der primitiven Fusion werden Objekte zu internalisierten Teilen der Selbstimagines, und aus diesen frühen Imagines geht schließlich unser innerstes Selbstgefühl hervor. Jacobson zufolge fördert die Integration guter und böser Imagines, d.h. die Integration der „guten“ und der „versagenden“ Mutter, die Fähigkeit, konflikthafte Gefühlszustände zu integrieren. Affektiv integrierte Selbst- und Objektrepräsentanzen bereiten letztlich auch einer verbesserten Fähigkeit, komplexere emotionale Erfahrungen auszuhalten, den Weg. Frühe prä-ödipale Erfahrungen mit mütterlichen Restriktionen und Verboten lassen die frühen Imagines entstehen, aus denen sich später das Über-Ich aufbaut. Freud (1940) beschrieb die Libido als eine bindende Kraft, während die Aggression Verbindungen zerstört. Jacobson bezog diese Überlegung auf die Separation-Individuation: Die Libido strebt danach, die gegensätzlichen Imagines guter und böser Objekte sowie guter und böser Selbstanteile zu integrieren. Die Aggression hingegen betreibt die Trennung und Differenzierung von Selbst- und Objektimagines. In dieser Konzeptualisierung zeichnet sich eine Integration von klassischer Triebtheorie und Objektbeziehungstheorie ab. V. Ae. Loewald Hans Loewald, einer der freudianischen Revisionisten der 1960er, 1970er und 1980er Jahre, brachte die freudianische Ich-Psychologie und die Objektbeziehungstheorie miteinander in Verbindung und formulierte eine psychoanalytische Theorie, die der tatsächlichen Lebenserfahrung des Menschen seiner Ansicht nach näher kam. Ihm war vor allem daran gelegen, die Grundannahmen des psychoanalytischen Theoriegebäudes und die fundamentalen Annahmen über das Wesen der Psyche, der Realität und des analytischen Prozesses unter die Lupe zu nehmen. Loewald war überzeugt, dass Freud letztlich zwei unterschiedliche Sichtweisen der Triebe vertrat. Die erste Auffassung hatte bis 1920 Bestand und postulierte Triebe, die nach Abfuhr suchen. Die zweite Auffassung tauchte mit der Einführung des Eros- Konzepts in Jenseits des Lustprinzips (Freud 1920) auf, wo Freud seine Definition der Triebe radikal änderte: An die Stelle der Spannungsabfuhr trat nun die Suche nach Verbindung, „die Objekte nicht zur Befriedigung benutzt, sondern zum Aufbau komplexerer mentaler Erfahrungen und zur Wiederherstellung der verlorenen, ursprünglichen Einheit zwischen dem Selbst und anderen Menschen“ (Mitchell und Black 1995, S. 190). Loewalds Revision der Freud’schen Triebtheorie setzte eine radikale Umformulierung der traditionellen psychoanalytischen Konzepte voraus. Hatte Freud das Es als eine unveränderliche biologische Kraft betrachtet, die mit der sozialen Realität in Widerstreit gerät, so verstand Loewald es nicht länger als einen konstanten biologischen Faktor, sondern als ein Interaktionsprodukt des Anpassungsprozesses. Die Psyche ist nicht sekundär, sondern naturgemäß interaktiv. Nach Loewalds Theorie erfolgt zunächst keine Unterscheidung zwischen Selbst und Anderer, Ich und äußerer Realität oder Trieben und Objekten. Stattdessen postuliert

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