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der prä-ödipalen Phase vor Erwerb der Objektkonstanz (Mahler et al. 1978 [1975]) sowie Kleins „paranoid-schizoider Position“ (Klein 1952a, b). Eine Psychopathologie auf dieser Ebene, die Borderline-Persönlichkeitsstörung, spiegelt wider, dass der Erwerb einer integrierten Ich-Identität ausgeblieben ist – typisch für das Syndrom der Identitätsdiffusion. Die dominanten primitiven Abwehroperationen, die auf das Spalten konzentriert sind, sowie gewisse Einschränkungen der Realitätsprüfung, die sich in subtilen Aspekten des interpersonalen Funktionierens zu erkennen geben, charakterisieren diese Entwicklungsebene. Die Pathologie der schweren (Borderline-) Persönlichkeitsstörung ist durch eine Fixierung an diese Ebene gekennzeichnet. Die intrapsychischen Konflikte spielen sich auf dieser Ebene der Psychopathologie zwischen zwei gegensätzlichen Einheiten der beiden Gruppen internalisierter Objektbeziehungen ab, die jeweils aus einer durch einen Triebabkömmling (der sich klinisch als Affektdisposition manifestiert) miteinander verbundenen Selbst- und einer Objektrepräsentation bestehen. Auf der zweiten Entwicklungsebene, die sich nach und nach im Laufe der ersten drei Lebensjahre herausbildet, wird die allmähliche Integration widersprüchlicher emotionaler Erfahrungen durch das zunehmend realistische Erfassen der Umwelt, aber auch durch die Dominanz guter (befriedigender) gegenüber bösen (frustrierenden) Erfahrungen gefördert. Die Toleranz für ambivalente Gefühle, für positive wie auch negative emotionale Beziehungen zu denselben äußeren Objekten lässt nach und nach ein integriertes Selbstgefühl entstehen und ermöglicht es, auch ein integriertes Bild von wichtigen Anderen zu entwickeln. Dies sind die beiden wesentlichen Komponenten der Ich-Identität. Diese zweite Entwicklungsebene entspricht in etwa Kleins „depressiver Position“ (ohne deren zeitliche Begrenzung) und der von Freud beschriebenen ödipalen Entwicklung. Sie gibt den Erwerb der Objektkonstanz zu erkennen, die Entwicklung einer normalen neurotischen Organisationsebene und ein Vorherrschen weiterentwickelter Abwehrmechanismen wie Projektion, Verleugnung, Intellektualisierung und Reaktionsbildung. Auch in der inneren Strukturbildung manifestiert sich diese höhere Ebene der Persönlichkeitsorganisation: Ein verdrängtes, dynamisches Unbewusstes – ein „Es“ -, das aus inakzeptablen internalisierten dyadischen Beziehungen besteht, die unerträgliche primitive Aggression und Aspekte der infantilen Sexualität widerspiegeln, wird klar abgegrenzt. Das „Ich“ umfasst nun das integrierte, kohärente Selbstkonzept sowie die integrierte Repräsentation wichtiger Anderer. Damit einher geht die Entwicklung von Sublimationsfunktionen, die in adaptiven Äußerungen der emotionalen Bedürfnisse bezüglich Sexualität, Abhängigkeit, Autonomie und aggressiver/assertiver Selbstbestätigung erkennbar werden. Internalisierte Objektbeziehungen, die ethisch basierte Gebote und Verbote umfassen und in den frühen Interaktionen des Säuglings und Kleinkindes mit seiner psychosozialen Umwelt, insbesondere den Eltern, vermittelt werden, können nun in das „Über-Ich“ integriert werden. Diese Struktur baut sich aus Schichten internalisierter Verbote und idealisierter Gebote auf, die eine bedeutsame Veränderungen erfahren und zu einer individualisierten, abstrakten persönlichen Moral heranreifen (Kernberg 2004, 2012). Unbewusste Konflikte auf dieser Ebene der Persönlichkeitsorganisation sind
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