Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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2. Sozialkonstruktivismus: Die von Fromm (1941) und Levenson (2006) beeinflusste soziale Regulation leitet sich aus der interpersonalistischen Tradition her, die von einer wesentlichen Beeinflussung der individuellen Psyche durch die Kultur ausgeht. In Bezug auf Gender und Sexualität haben sich auch Foucaults (1988) und Althussers (1970) Einflüsse als bedeutend erwiesen. In den vergangenen Jahren zählen Dimen (2003) sowie Goldner (1991, 2003) zu den Autoren, die in dieser Tradition arbeiten. Sie widmen sich insbesondere dem Dialog zwischen dem Unbewussten und dem Sozialen sowie dem Körper und der Kultur, und zwar mit Blick auf den psychoanalytischen Feminismus und andere kulturell transformative Themen. Corbett (1993, 2009) positioniert seine Arbeit mit seiner Dekonstruktion der Maskulinität in einer relationalen und queeren Tradition. 3. Multiple Selbstzustände: Die intensive Konzentration der relationalen Metapsychologie auf Identitätszustände und dissoziative Prozesse unterschiedlicher Intensität erklärt einen Großteil der relationalen analytischen dyadischen Arbeit. „Hybridität“, „Multiplizität“, „wechselnde Selbstzustände“, „vertikale Spaltungen“ sowie „Dissoziationen“ können ein Trauma signalisieren oder auch Teil normativer psychischer Modelle sein (Bromberg 1998, 2006; Davies und Frawley 1994). Auf diese Weise knüpft die aktuelle Fokussierung auf das Trauma und seine intergenerationelle Weitergabe durch Sprache, Körper und andere Modi der Bezogenheit an Ferenczis (1909, 1932) frühe Untersuchung der unbewussten Mitteilung traumatischer Erfahrungen, seine Konzepte der Identifizierung mit dem Angreifer und des gelehrten Säuglings an. Einige der modernen relationalen Arbeiten über Verkörperlichung [embodiment] im Kontext problematischer Bindungen (Gentile 2006; Anderson 2009; Seligman 2009; Corbett 2009) und die Erforschung der vor diesem Hintergrund erwachsenden Scham (Lombardi 2008) sind Beispiele für diese heutigen Richtungen. 4. Entwicklung, Motivation, auftauchende Funktion: Mitchell, der die von ihm so genannte „entwicklungspsychologische Schlagseite“ der klassischen freudianischen Theorie ursprünglich entschieden kritisierte, wandte sich der Entwicklung immer stärker zu, nachdem er Loewalds Konzept der aus der Beziehungsmatrix hervorgehenden menschlichen Subjektivität – „die von den ersten Momenten an zum Sitz einer primären Dichte wird, aus der Objektzustände und Subjektivität hervorgehen“ (Harris 2011, S. 714), für sich entdeckt hatte. Ein Beispiel für die von zwei Personen ausgehende Erklärung der emergierenden Sexualität, das auf Laplanches Konzepte der „Implantation“ und des „Zuviel des Anderen“ rekurriert, ist Ruth Steins Konzept der „Sexualität als eines Zuviels“, dem sie die Interaktion zwischen der Erwachsenen und dem Kind zugrunde legte (Stein 2008). 5. Der durch die Betonung einer ubiquitären Gegenübertragung charakterisierte klinische Prozess: In den Fußstapfen Ferenczis (1911, 1932) und anknüpfend an Heimanns (1960) Überlegungen zur Gegenübertragung sowie Bions (1959) Verständnis der projektiven Identifizierung und ihrer Bedeutung für den Entwicklungsprozess repräsentiert die relationale klinische Theorie „eine radikale Systemtheorie“ (Harris 2011) und betont den wechselseitigen Einfluss in der analytischen Dyade. Authentizität, Aufrichtigkeit sowie die Möglichkeit der

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