Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Selbstenthüllung von Irrtümern und Fehltritten des Analytikers (Davies 1994; Renik 2007) können auf vielfältige Weise in die Praxis umgesetzt werden, bilden aber auf jeden Fall das Fundament der relationalen klinischen Praxis und machen zugleich die „Vulnerabilität des Analytikers“ aus und können ihn in eine „Sackgasse“ geraten lassen (Aaron 2006; Harris und Sinsheimer 2008). Die aktuelle Kontroverse zwischen den oben vorgestellten zahlreichen theoretischen Überlegungen und klinischen Ansätzen relationaler Provenienz betrifft das Ausmaß, in dem die analytische Dyade als eine ahistorische Ko-Konstruktion bzw. als eine Replik der Mutter-Baby-Einheit verstanden wird. (Siehe auch die Einträge KONFLIKT, INTERSUBJEKTIVITÄT.) V. Bd. Selbstpsychologie: Selbstobjekt Selbstpsychologen mahnen dazu, den Begriff der „Internalisierung“ wohlüberlegt zu verwenden, weil er eine Metapher ist und als solche nicht wörtlich genommen werden muss oder sollte. Wenn man also sagt, dass die Objektbeziehungstheorie die allmähliche Konstituierung dyadischer oder bipolarer intrapsychischer Repräsentationen (Selbst- und Objektimagines) untersucht, die die ursprüngliche Mutter-Kind-Beziehung widerspiegeln (Kernberg 1976, S. 57), ist dies nicht unbedingt dahingehend zu verstehen, dass Aktivität, die in der Außenwelt stattfindet, auf eine innere Theaterbühne im Kopf transponiert wird, auf der dann Miniaturdoubletten oder „Repräsentationen“ oder „Imagines“ die äußere Welt reinszenieren. „Internalisierung“ ist im Grunde zu verstehen als ein Begriff, der ebenso wie die mit ihm zusammenhängenden Begriffe oder Konzepte keine körperliche oder geographische Bedeutung haben muss. Dazu ein Beispiel von Arnold Goldberg, Herausgeber der jährlich erscheinenen Bände der Reihe „Progress in Self Psychology“, der die Theorie Heinz Kohuts um wichtige Beiträge bereichert hat: „Wir haben Geld auf der Bank, sind in Liebe entbrannt oder stecken in Schwierigkeiten, ohne dass wir die Dollars konkret in dem Gebäude, in dem die Transaktion stattgefunden hat, vermuten oder glauben, dass ‚Liebe‘ und ‚Schwierigkeiten‘ Orte seien. Es sind Metaphern, die man nur allzu leicht konkretisiert. Dieser Mangel an Klarheit zeigt sich ein ums andere Mal, wenn wir annehmen, dass die Psyche irgendwie in unserem Gehirn verortet sei, das seinerseits im Schädel untergebracht ist; und so ist der Prozess, etwas oder jemanden im Sinn zu haben, lediglich ein Akt der Translokation, der schlicht und einfach durch eine Repräsentation zustande kommt“ (Goldberg 2015a, mündl. Mitteilung an Eva Papiasvili). In deutlichen Gegensatz zu der verführerischen Vorstellung einer bloßen Transposition des eigenen Lebens in ein Drama, das sich im Gehirn abspielt, steht die Theorie der erweiterten Psyche (Rowland 2013). Insofern es sinnvoll ist, Theorien als nützliche Instrumente, auf die man bei Bedarf zurückgreifen kann, zu begreifen und nicht als Abbildungen eigentlicher Sachverhalte, wird das Konzept der erweiterten Psyche derzeit verwendet, um unsere Auffassung der Objektbeziehungen zu verändern. Obgleich diese Theorie ursprünglich zur Untersuchung der Kognition herangezogen wurde, lässt sie sich in der Psychoanalyse mühelos mit Theorien des Selbst oder der

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