Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Entitäten. Das Gehirn ist ein Organ, welches die Psyche oder den Geist hervorbingt. Psyche und Geist sind Begriffe für Gedanken und Gefühle und schließen die Welt mit ein. Das Selbst ist die Person, die in der Welt mit anderen Personen lebt. Diese drei Entitäten dürfen nicht in eins gesetzt werden. So schreibt Goldberg (1915b, mündliche Mitteilung an Eva Papiasvili): „Stellen Sie sich einen jungen Menschen vor, der sich an der Harvard Business School einschreibt. Er oder sie ist zwar an der Business School, aber physisch fast nie in dem Gebäude präsent, in dem diese untergebracht ist. Die Eltern dieses jungen Menschen kommen zu Besuch, um sich die Universität anzuschauen, an der ihr Sohn oder ihre Tochter studiert. Man zeigt ihnen das Verwaltungsgebäude, die Bibliothek und die Business School, doch dann verblüffen sie den Fremdenführer mit einer harmlosen Frage. Die Mutter erkundigt sich, wo denn nun die Universität sei, und bekommt zur Antwort, dass die Universität überall sei. Harvard ist weder eine bloße Ansammlung von Gebäuden noch überhaupt dingfest zu machen. Harvard ähnelt vielmehr einer Idee und ist ebenso wenig stationär zu lokalisieren oder zu begrenzen wie die Psyche und das Selbst. Harvard hat für unterschiedliche Leute unterschiedliche Bedeutungen, ganz ähnlich wie die Objektbeziehungen“. (Siehe auch die Einträge ÜBERTRAGUNG, SELBSTPSYCHOLOGIE.) V. Be. Der Aufstieg "dritter" Modelle des psychischen Geschehens Auf beiden Seiten des Atlantiks verwenden französischsprachige Analytiker die Bezeichnung „Das dritte Modell“ – „Le Troisième Topique“ [„Die dritte Topik“] -, um die Arbeit etlicher postfreudianischer Autoren über die Rolle, die das Objekt für die Entwicklung des psychischen Apparates spielt, unter einer Rubrik zusammenzufassen (Brusset 1988, 2005, 2006, 2013). Die Bezeichnung #3 besagt, dass dieses Modell nach und nach von mehreren führenden Denkern ausgearbeitet wurde, die es für notwendig hielten, die Beziehung zu frühen Betreuungspersonen als Voraussetzung für den Erwerb eines psychischen Apparates zu postulieren, der imstande ist, gemäß einem der beiden Freud’schen Modelle des psychischen Apparates zu operieren: Entweder gemäß dem topischen Modell (Freud 1900), das zwischen Bewusstsein, Unbewusstem und Vorbewusstem – mit jeweils eigenen Funktionsgesetzen – unterscheidet; oder gemäß dem zweiten Freud’schen Modell (1923, 1026), nämlich dem Strukturmodell, das den psychischen Apparat in drei separate Bereiche unterteilt: Es, Ich und Über-Ich. Freuds frühere Überlegungen implizieren, dass das Subjekt sich des Triebes als Teil seiner selbst in gewisser Weise bewusst ist und gezwungen wurde, ihn zu verdrängen, weil sein Wesen für das Ich unannehmbar ist. Das zweite Modell postuliert eine Situation, die weit mehrdeutiger ist und in der selbst unter der idealen Voraussetzung einer klaren inneren Differenzierung des psychischen Apparates wichtige Anteile des Ichs und Über-Ichs unbewusst bleiben. Darüber hinaus ist das Ich angefüllt mit Material, das niemals ins Bewusstsein gelangt ist. In seinen beiden späteren Schriften von 1923 und 1926 ringt Freud mit den theoretischen und technischen Implikationen dieser Entdeckungen. Gleichwohl ist die Behauptung, dass beide Modelle für „eine Person“ stehen, vertretbar.

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