Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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beiden separaten Ebenen die Theoriebildung nach wie vor beschäftigen. Die unausweichliche Asymmetrie der „grundlegenden anthropologischen Situation“ wurde auch von Laplanche (19993) wiederholt betont, wenngleich er sich in erster Linie nicht auf moderierenden, sondern auf den disruptiven sexuellen Charakter der unbewussten Intrusion der Betreuungsperson konzentrierte. Beide Funktionen sind zu berücksichtigen, will man der gesamten Bandbreite des Einflusses, den das Objekt auf das Subjekt ausübt, Rechnung tragen. Seulin (2015) vertrat die Ansicht, dass der von Laplanche und Freud betonte „dämonische“ Charakter, den die Sexualität annehmen kann, weniger auf die Rätselhaftigkeit der „Botschaften“ des Objekts zurückzuführen ist als vielmehr darauf, dass es seine Funktionen nicht erfüllt. Dieser Auffassung hat Stein (2008) entschieden widersprochen. Mehrere der hier als Repräsentanten des „dritten Modells“ genannten Autoren gelangten bezüglich der relativen Ineffektivität der klassischen Deutungsarbeit in der Behandlung von Personen, die unterhalb des „neurotischen“ Spektrums operieren, offenbar zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Von therapeutischem Wert ist hier vielmehr die Containerfunktion des Analytikers, der die Fähigkeit seines Patienten, Gefühle wahrzunehmen, in Worte zu fassen und zu repräsentieren, unterstützt. Winnicott schrieb vom „holding and handling“, Bion (1962a, 1962b) erläuterte die Reverie, Green (2003) die „Repräsentationsarbeit“, Aulagnier (1977) betonte das Recht auf geheime Gedanken, Reid (2008a, 2008b, 2010, 2015) erläuterte den Zugang zum Übergangshaften und zu „tertiären“ psychischen Vorgängen, Roussillon (1991; Casoni et al. 2009; Daoust 2003) das „formbare Medium“ und Loewald (1960, 1970, 1971, 1972) die „vermittelnden“ und „integrierenden Interaktionen“ der Mutter bzw. des Analytikers. Erkennbar wird in diesen Arbeiten ein weiteres Korrelativ, das sich offenbar mit der Richtung zahlreicher anderer psychoanalytischer Orientierungen deckt und dem auch Freud selbst zugestimmt hätte, nämlich die Schlussfolgerung, dass psychische Gesundheit und Resilienz mit einer optimalen Fluidität zwischen den intrapsychischen Strukturen sowie mit einer relativen Identifizierungsfreiheit in Beziehungen zusammenhängen. (Siehe auch die Einträge DAS UNBEWUSSTE, INTERSUBJEKTIVITÄT.)

VI. LATEINAMERIKANISCHER BEITRAG

Die in Lateinamerika, vor allem in Argentinien erarbeiteten objektbeziehungstheoretischen Formulierungen hängen mit der kleinianischen Theorie und ihren Weiterentwicklungen insbesondere durch Bion, Meltzer und Winnicott zusammen. Kleins frühe Theorie entstand auf der Grundlage ihrer Psychoanalyse des Kinderspiels. Klein beobachtete, dass Kinder ihre Gefühle und Gedanken im Spiel personifizieren. Die Spielsachen standen für Menschen, für Situationen, verhasste Gefühle, verfolgende Feinde, Liebeswünsche, wilde Sexualtheorien, körperliche Implosionen und so weiter.

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