Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Begabungen – mit dem Ziel, einen Ersatz für diese [containende] Funktion der Haut zu schaffen, die Abhängigkeit von dem Objekt durch eine Pseudo- Unabhängigkeit ersetzt.“ (S. 236f.) Donald Meltzer (1986) unterteilte die Pathologie der projektiven Identifizierung ausgehend von seiner Arbeit mit Bions Theorien, in Störungen, die vorwiegend die Projektion, und solche, die vorwiegend die Introjektion beeinträchtigen. Die Pathologie der Projektion hängt mit der Art und Weise zusammen, wie die innere Welt der Objekte phantasiert wird; hier bewegen wir uns auf dem Gebiet der Phobien, insbesondere der Agoraphobie und der Klaustrophobie. Auch Phantasien über die Beschaffenheit und Qualität der Atmosphäre, die im Objekt herrschen könnte, wurden bei psychotischen Verwirrtheitszuständen, vor allem in der Adoleszenz, beobachtet. Meltzer erwähnt auch das Syndrom der verzerrten Wahrnehmung, das er als „Wahn der klaren Einsicht“ bezeichnet: die Überzeugung, genau zu wissen, was eine andere Person denkt. Die häufigste Pathologie der Identifizierung besteht in einer unmittelbaren Aneignung der Eigenschaften des Objekts. Das klassische Beispiel ist die hysterische Konversion, aber die Störung findet sich auch bei manisch-depressiven Psychosen, bei der Hypochondrie und in pseudo-reifen Zuständen, in denen das Subjekt in seiner projektiven Identifizierung mit einem idealisierten Objekt gefangen bleibt, ohne den Schritt zur Trauer um das Objekt zu bewältigen und über einen Zwischenzustand heterogener Hyperreife zu einem ausgewogenen Ich-Ideal zu gelangen. Einige Jahre später untersuchte Meltzer (1992) die unbewusste Auswahl des Partialobjekts, in das hinein die projektive Identifzierung erfolgt. Er beschrieb die unterschiedlichen Teile (Abteile) des phantasierten Körpers der Mutter – Genitalien, Anus, Brust, Kopf – und unterschied die Pathologien klinisch gemäß der Auswahl des jeweiligen Containers als Sexualisierung/Erregung, Geheimnis/Raub und omnipotente Großzügigkeit/Idealisierung. Die Situation der „guten“ und „bösen“ Objekte ist in hohem Maß auch von der Pathologie der projektiven Identifizierung abhängig. Melanie Klein hatte bereits festgestellt, dass der Mechanismus nicht nur dazu dient, die guten Objekte im Innern des Ichs zu behalten und die bösen auszulagern, um das Ich vor ihnen zu schützen. Vielmehr ist auch die gegenteilige und komplementäre Situation sehr häufig anzutreffen: Wenn der Patient das Innere der eigenen Psyche oder des eigenen Körpers als böse und gefährlich erlebt – z.B. im Fall einer Melancholie -, projiziert er seine guten Objekte und die guten Anteile seines Ichs in ein äußeres Objekt, um sie vor seinen eigenen bösen, angreifenden Anteilen zu schützen. Frances Tustin (1992) schlug den Begriff “adhäsive Gleichsetzung” zur Beschreibung autistischer Kinder vor, die chronisch an ihren Müttern „kleben“, so dass es keinen Raum zwischen ihnen gibt. Tustin betonte mit Nachdruck, dass ohne das Gewahrsein eines psychischen Raumes keine Objektbeziehungen im eigentlichen Sinn

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