Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Das zentrale Thema der breitbasierten relationalen Psychoanalyse (Greenberg und Mitchell 1983) ist ihre Beschreibung der Zwei-Personen-Psychologie, der zufolge „Patient und Analytiker in einem interpersonalen Feld gemeinsam eine Übertragungs- Gegenübertragungsmatrix konstruieren und gemeinsam einen intersubjektiven Raum schaffen, in dem analytische Arbeit stattfindet“ (Auchincloss und Samberg 2012, S. 222). Die oben angedeutete Heterogenität nordamerikanischer Definitionen spiegelt die komplexen Überschneidungen unterschiedlicher, maßgeblicher Denk- und Traditionsrichtungen sowie die sich überschneidenden und parallel verlaufenden Entwicklungswege wider. Im Folgenden werden unterschiedliche Quellen und Entwicklungswege des Konzepts in der Psychoanalyse und ihre Relevanz für die Ausformung des Konzepts in Lateinamerika, Nordamerika und Europa dargestellt, um ein Verständnis der heutigen Komplexität, Verbreitung und wechselseitigen Befruchtung psychoanalytischer Feldtheorien und -konzepte innerhalb aller und zwischen allen IPV-Regionen zu ermöglichen. Die Begriffe „Gegenübertragung“ [countertransference] und „bipersonales Feld“ [bipersonal field] werden hier durchgehend in diesem Sinn benutzt, sofern es innerhalb eines bestimmten konzeptuellen Bezugsrahmens oder in direkten Zitaten nicht anders gehandhabt wird. Die Begriffe „psychoanalytisches Feld“ oder „das Feld“ werden im Einklang mit dem jeweiligen konzeptuellen Netzwerk oder dem jeweiligen Autor verwendet, sofern nicht anders angegeben.

II. WELTWEITE GESCHICHTE UND EVOLUTION DER FELDTHEORIEN UND -KONZEPTE

II. A. INTERDISZIPLINÄRE WURZELN: PHILOSOPHIE UND SOZIALTHEORIE

Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich in der Philosophie und in den physikalischen und Sozialwissenschaften eine lose gruppierte Denkrichtung abzuzeichnen, die dem Erkenntnisgewinn auf Grundlage der Klassifizierung von oder der Reduktion auf Grundelemente, die durch „Medien“ miteinander verbunden waren, kritisch gegenüberstand. 1873 führte Michael Faraday den Begriff „magnetisches Feld“ ein; seine „Kraftlinien“ wurden durch James Clerk Maxwell zu einer Theorie elektromagnetischer Felder ausgearbeitet. Anders als das frühere Ätherkonzept, das von einem „Medium“ zwischen verschiedenen Objekten ausging, das die „Fernwirkung“ erklären sollte, beschreiben Feldeigenschaften die inhärente Beziehung von Teilen, die das Ganze konstituieren , und zwar ohne ein magisches Medium. Das

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