Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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keine Bedeutung hat (vgl. Gestalttheorie). Wir kennen den Grund nicht, obwohl er von uns gelebt wird. […] Damit Wissen voranschreiten kann […], ist es notwendig, dass das, was Grund war, Figur wird“. (Merleau Ponty 1964a, S. 113) An diesem Punkt seines Denkens bezog Merleau-Ponty das Unbewusste auf einen „ungesehenen Grund“, auf Wahrnehmungsprozesse, die zwischen Figur und Grund nicht unterscheiden, also den Grund nicht erkennen, der die Figur sichtbar macht und ihr Bedeutung verleiht. Eine verdrängte traumatische Erfahrung wird, um ein Beispiel zu nennen, aufgrund der Beharrlichkeit eines vertrauten Feldes nicht wahrgenommen, aufgrund eines Kontextes, in dem das Traumatische keine Gestalt besitzt. „Die Traumaerfahrung wahrt ihren Bestand nicht in Gestalt einer Vorstellung des objektiven Bewußtseins und als datierbares Vorkommnis, vielmehr ist es ihr wesentlich, nur fortzuleben in einem Stil des Seins und in einem gewissen Grade von Allgemeinheit“ (Merleau-Ponty 1966 [1945], S. 108). Das Trauma wird körperlich als generalisierte Angst empfunden, ist aber in seiner Spezifität nicht bekannt, weil sich die Aufmerksamkeit beharrlich auf die vertrauten Konturen eines nichttraumatischen Feldes richtet. Merleau-Pontys Einstellung zur Psychoanalyse veränderte sich in seinen Sorbonne-Vorlesungen (1950) und seinen Vorlesungen am Collège de France (1968). Mehr und mehr interessierte ihn nun der intersubjektive Prozess, und seine Konzipierung des phänomenalen Feldes betonte den „Transitivismus“ und schließlich die „Reversibilität“. Diese Konzepte können hier nur angeschnitten werden, obwohl sie für die Klärung einer Radikalisierung von Merleau-Pontys Verständnis des Feldes, das die Interpenetration besonders hervorhebt, entscheidend sind. In diesen Vorlesungen untersuchte er psychoanalytische Konzepte im Licht der Phänomenologie und betonte die reziproke Bewegung zwischen Selbst und Anderem: „Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Beziehung zu Anderen und der Beziehung zu einem selbst. […] Die Beziehungen zu Anderen passieren die Beziehung zu einem selbst“ (Merleau-Ponty 1950, S. 267). Er hielt Melanie Kleins Sichtweise der Projektion und Introjektion in diesem Prozess für wegweisend und situierte die Aktivität dieser Mechanismen in seiner Klein-Interpretation im Körper: „Der Unterschied zwischen dem Phantasierten und dem Realen ist weniger scharf. Zwischen körperlicher Aktivität (Saugen, Schlucken) und Introjektion gibt es keine festen Grenzen mehr“ (Merleau- Ponty 1964a, S. 368). Phillips zeigt, dass Merleau-Ponty bei Klein ein anderes Feld findet. Durch Klein können psychoanalytische Konzepte verstanden werden „als die Suche nach dem Außen im Innen und dem Innen im Außen, d.h. als eine globale und universale Kraft der Einverleibung“ (Merleau-Ponty 1968, S. 130). Merleau-Ponty verwandelte diese psychischen Mechanismen von „mentalen Operationen“ in „Modalitäten körperlicher Aktivität“, den Zugang zwischen Innen und Außen (Merleau-Ponty 1964b, S. 310). In seinem späten Werk der 1950er Jahre veränderte sich Merleau-Pontys Sicht des Unbewussten und des Feldes von einem Wahrnehmungsfeld, das nicht gesehen

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