Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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betonen die Funktionen der Beobachtung und Wahrnehmung und die Perspektiven auf die äußere Realität. Racker hob hervor, dass der Analytiker zur Selbstbeobachtung der unterschiedlichen Aspekte seiner Beteiligung fähig sein müsse. Willy Baranger (1961- 62) zufolge ermöglichten Rackers Überlegungen eine Erweiterung der Wahrnehmungs- und Reflexionsfähigkeit des Analytikers in Bezug auf die interpersonale Situation der Analyse. Was Rackers Arbeit über das Wissen um die Gegenübertragung betrifft, so weist Willy Baranger darauf hin, dass das Ich des Analytikers „als Beobachter der interpersonalen Situation, ermöglicht durch einen Prozess der relativen Spaltung“, positioniert sein müsse (W. Baranger 1961-62, S. 168). „Die Beobachtung des Analytikers, die sich auf den Patienten richtet und gleichzeitig Selbstbeobachtung ist, kann daher als die Beobachtung dieses Feldes definiert werden“ (Baranger und Baranger 2018 [1961-62]), S. 740). Später entwickelten die Barangers das Konzept der „Bastion“ und plädierten für einen „zweiten Blick“ des Analytikers auf das analytische Feld, insbesondere auf Hindernisse, die den Prozess beider Beteiligter erschweren: „Dies hat uns veranlasst, mehrere Begriffe einzuführen: ‚Feld‘, ‚Bastion‘, ‚zweiter Blick‘. Wenn der Prozess ins Stottern gerät oder stillsteht, kann der Analytiker nur sich selbst fragen, mit welchem Hindernis er es zu tun hat, indem er einen zweiten Blick auf sich selbst und den Analysanden, Ödipus und die Sphinx, wirft und so eine Gesamtansicht auf das Feld erhält“ (Baranger, Baranger und Mom 1979, S. 1). In der Zwischenzeit ermöglichte die Arbeit von 1961-62 die detaillierte Beobachtung und Beschreibung der wesentlichen Aspekte der psychoanalytischen, nun als dynamisches Feld verstandenen Situation. Damit tauchten wiederum neue Fragestellungen auf, z.B. bezüglich der Bedeutung der Teilnahme des Analytikers und der Gegenübertragung als behandlungstechnisches Instrument, der Relevanz von Körpersprache und emotionaler Kommunikation als unbewusste Kommunikation zwischen Patient und Analytiker, der Widerstandsphänomene, die abgespaltene primäre Erfahrungen ausdrücken können, des Prozesses der verbalen freien Assoziation und schließlich der Veränderungsfaktoren bzw. ihres Ausbleibens im analytischen Prozess. Die Barangers selbst haben auch allgemeinere Einflüsse auf ihr Konzept des dynamischen Feldes anerkannt (Baranger W, 1959, 1979; Baranger M und Baranger W, 1961-62; Baranger M, 1992), u.a. die Theorie der Gestalt, insbesondere die Arbeit Kurt Lewins, die dem Lebensraum des Individuums und seiner Dynamik als Determinanten seines Verhaltens vorrangige Bedeutung beimisst. Lewin, als Begründer der Sozialpsychologie bekannt, lehnte den Assoziationismus ab und betonte die Bedeutsamkeit der Wahrnehmung von Strukturen, weil sie die Entdeckung neuer Dimensionen der Realität ermöglicht. Die Gestalttheorie wiederum hat Einfluss auf Merleau-Pontys Wahrnehmungsverständnis ausgeübt (siehe oben). Laut Beatriz de Leon de Bernardi (2000) hielt Hugo Vezzetti (1998) Enrique de Pichon Rivière (1998) für einen jener Psychoanalytiker, die gestalttheoretische

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