Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Analytikers. Das heißt, das Konzept des Feldes verlangt einen „zweiten Blick“ („dual vision“) des Analytikers, um das „Phantomensemble“ der intersubjektiven Dynamik aufzulösen und, falls möglich, seine eigene intrasubjektive Geschichte zu erschließen. Das Ziel besteht darin, zu erhellen, welche „schlecht gebundenen Seiten“ seiner eigenen Geschichte auf die „schlecht gebundenen Seiten“ des Anderen gelegt wurden und wie diese Kollusion zwischen den unbewussten Phantasien, Identifizierungen, Mythen und Verträgen beider Beteiligter schließlich zu einem Ensemble gemeinsamer Phantome führt, in dem jeder eine stereotype und repetitive Rolle spielt. Das bedeutet, dass man das psychische Geschehen eines jeden Beteiligten und seine intrasubjektive Geschichte durch die unbewusste Phantasie des Feldes aufdecken kann, indem man vom Intersubjektiven zum Intrasubjektiven vorangeht, vom Hic et Nunc zur Vergangenheit und Zukunft, von diesem scheinbar zeitlosen Niederschlag zur Zeitlichkeit der Vergangenheit und der Zukunft (Kancyper 1998). Kancyper ist der Ansicht, dass man das Feldkonzept der Barangers als ein Makrokonzept komplexen Denkens, als einen Ort des Fragens, betrachten kann. Unter diesem Blickwinkel sind alle Bezüge zum gordischen Knoten der Beziehungen zwischen Intrapsychischem, Intersubjektivem und Transsubjektivem miteinander verknüpft. Dies deckt sich mit Edgar Morins (2007) Befürwortung von Makrokonzepten, die er mit einem Atom als Konstellation von Partikeln und mit dem Solarsystem als Konstellation um einen Stern vergleicht. Auf diese Weise betont er die Notwendigkeit, von einer Konzeptgemeinschaft auszugehen, in der Komplexität nicht zur Unterdrückung von Einfachheit führt. Vielmehr kann sie vereinfachende Denkweisen weitestgehend integrieren, während sie die reduktionistischen, verkürzenden, eindimensionalen und unter Umständen blind machenden Konsequenzen der Vereinfachung als lebendes Bild dessen, was real ist, ablehnt. Nach Kancypers Ansicht zeigt das Feldkonzept der Barangers neue Möglichkeiten auf, Selbstheit einhergehend mit der Konsolidierung von Andersheit zu betrachten. Dies ermöglicht die Rückschau auf die eigene Geschichte und die des Anderen und erkennt gleichzeitig ihre Verbindungen und Ähnlichkeiten, ihre Unterschiede und ihre Komplementarität an. Ein weiterer von Kancyper betonter Aspekt ist die Beziehung zwischen analytischem Feld und affektiver Atmosphäre. Das Feld ist durch seinen dynamischen Charakter gekennzeichnet, und seine Bewegungen werden auf zwei Ebenen gleichzeitig registriert: auf der Ebene des Denkinhalts und der Ebene der Affektzirkulation, aber zudem auch an deren Überschneidungen. Analytiker müssen, so Kancyper, die Stimmung , die Atmosphäre der Sitzung, erfassen und die unterschiedlichen Gefühle und Affekte, die in der analytischen Situation auftauchen, mit ihrem „Gegenübertragungsstethoskop“ auskultieren. Die Stimmung verrät, was im dynamischen Feld unaussprechlich ist. Indem der Analytiker die Wucht der Gefühle und Affekte, die in jedem gegebenen Moment der Sitzung vorherrschen, zutreffend und mitsamt ihren Nuancen und Schwankungen erkennt, kann er die Atmosphäre des Feldes

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