Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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(3) Chronisches und akutes Enactment Cassorla (2001, 2005, 2012) hat im Zusammenhang mit dem Bastion-Konzept der Barangers zwei Enactment-Kategorien untersucht, das chronische und das akute. In Verbindung mit dem Konzept der projektiven Identifizierung leistet das militärische Modell in der klassischen Arbeit von M. und W. Baranger (1961-62) gute Dienste. Beschrieben wird hier die „Bastion“, ein Hindernis, das sich dem fortschreitenden Ringen im analytischen Setting entgegenstellt. Ursprünglich bezeichnete „Bastion“ ein Bollwerk, eine aus der Linie eines Festungswalls vorspringende Anlage, die zur Bewachung der Festung diente und es erleichterte, Feinde unter Beschuss zu nehmen. Die Idee einer Bastion als Festung, die die analytische Arbeit erschwert, könnte die Vermutung nahelegen, dass der Analytiker auf Fortschritt drängt, während der Patient sich zurückzieht und verteidigt. Dieser Eindruck wäre aber falsch. Das Modell ist, ganz im Gegenteil, innerhalb des Konzeptes eines „Feldes“ zu verstehen, eines Konzeptes also, das zeitgenössische Überlegungen zur Intersubjektivität integriert. Den Barangers zufolge sind an der analytischen Situation zwei Personen beteiligt, die sich in einem gemeinsamen dynamischen Prozess befinden und von denen keiner ohne Bezug auf den Anderen verständlich wäre. In diesen zwei Personen wiederum verbergen sich multipersonale Strukturen. Das „Feld“ besteht aus der Verbindung räumlicher und zeitlicher Strukturen und aus der so genannten „unbewussten Phantasie von der Dyade“. Diese Phantasie gründet nicht in der Summe der Elemente Patient und Analytiker, sondern ist etwas, „das zwischen den beiden erzeugt wird, innerhalb der Einheit, die sie während der Sitzung konstituieren, etwas, was radikal anders ist als das, was jeder von ihnen allein ist“ (S. 141). Es ist wichtig festzuhalten, dass alles, was in dem bipersonalen Feld passiert, nicht lediglich Wiederholung ist, da es in einem neuen Kontext auftaucht. Die Begegnung mit Bastionen wirkt auf das Feld lähmend, erzeugt das Gefühl, dass nichts geschieht und dass die Narrative stereotyp sind. Wenngleich die Barangers mitunter zu verstehen geben, dass die Bastion zum Patienten gehört, ist doch klar, dass sie sie als Produkt des Feldes begreifen. Dieser Widerspruch klärt sich später (Baranger et al. 1983), wenn sie die Bastion als einen „Niederschlag“ des Feldes betrachten, der nur zwischen diesem Analytiker und diesem Analysanden möglich ist und „unbewusst und schweigend aus einer Komplizenschaft zwischen den beiden Protagonisten hervorgeht, um eine Bindung zu schützen, die nicht aufgedeckt werden darf“ (S. 2). Es handelt es sich um eine Neubildung des Feldes „um eine Ansammlung gemeinsamer Phantasien herum, die wichtige Bereiche aus der persönlichen Geschichte beider Beteiligter einbeziehen und jedem von ihnen eine stereotype, imaginäre Rolle zuschreiben“ (S. 2). Teile des Patienten und Teile des Analytikers verflechten sich auf diese Weise und sind in einer Abwehrstruktur gefangen. Die Bastion kann wie ein unbeweglicher

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