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psychoanalytischen Methode. Somit ist diese Theorie eine auf einer kritischen Erörterung ihrer Grundlagen basierende Deutung der Psychoanalyse. Laut Herrmann besteht das Wesensmerkmal der psychoanalytischen Methode darin, wann immer sie angewendet wird, das Unbewusste aufzudecken. Alle Systeme menschlicher Beziehungen [relations] – wobei „Beziehung“ jedes menschliche Produkt bezeichnet, von einer einzelnen Idee oder Emotion über intersubjektive Beziehungen zur menschlichen Realität an sich und dem Versuch, das Reale zu repräsentieren – öffnen sich und geben ihr Unbewusstes zu erkennen, wenn sie mithilfe der psychoanalytischen Methode gedeutet werden. Dieses Unbewusste besteht aus einem Regelwerk, das Beziehungen determiniert, eingrenzt und prägt, auch wenn sein Einfluss den Beteiligten selbst verborgen bleibt. Die Oberfläche menschlicher Beziehungen – d.h. alles, was wir denken, erinnern, wovon wir träumen oder was wir tun – besteht aus Repräsentationen , Vorstellungen . Die sie determinierenden Regeln sind nicht in den Tiefen des Geistes verborgen, sondern in der Bildung der Vorstellungen selbst. Gleiches geschieht in einem Kräftefeld, das die Verteilung von Partikeln organisiert; es ist unsichtbar, verbirgt sich aber nicht an einem fernen Ort, sondern ist nur die Form, die solche Partikel einnehmen. Und da die psychoanalytische Methode die Saat relativer Unbewusster (Herrmannns Neologismus) enthält – der Unbewussten unterschiedlichster Beziehungen -, sollte man wohl am besten sagen, dass sie Felder von Beziehungen, die untersucht werden, aufdeckt. Im Falle der Theorie multipler Felder findet dieses Denken auf die Generalisierung des Freud’schen Konzepts des Unbewussten Anwendung. Hinter dieser Generalisierung (die als neuen Begriff den des Feldes postuliert) stehen drei Gründe. Der erste ist kritischer Natur. Zwar war die Deutungsmethode Freuds grundlegende Erfindung, doch mittlerweile liegt sie unter einer Schicht aus Doktrinen verborgen – als ob Psychoanalytiker ungeachtet der Kommunikation der durch die psychoanalytische Methode erzeugten und aufgedeckten Unbewussten in jedem Moment entscheiden würden, dass ein spezifisches Unbewusstes ausreichte oder erschöpfend sei. Von all den Lehren war diejenige Freuds zweifellos die umfassendste, den sie enthielt, beinahe in Reinform, die Deutungsmethode. Das kreative Potenzial der Methode wiederzubeleben, es aus dem Gefängnis der Doktrin zu befreien, war das oberste Ziel der Theorie multipler Felder als Denksystem. Die zweite Überlegung ist praktischer Natur. Da Analytiker ihren Lebensunterhalb im Behandlungszimmer (ihrer Praxis) verdienen, beansprucht die psychoanalytische Therapie ihre volle Aufmerksamkeit. Darüber hinaus hat die Vielfalt an Schulen unterschiedliche Analyseleitlinien hervorgebracht, mit anderen Worten: Die Methode ist in den Techniken und Doktrinen verloren gegangen. Da sich die durch diese Doktrinen – mit ihren unterschiedlichen Modellen der Psyche und unterschiedlichen behandlungstechnischen Leitlinien – erzielten Resultate aber im Wesentlichen ähneln, ist unverkennbar deutlich, dass ihnen derselbe Wirkstoff, die Methode , zugrunde liegt. Die dritte Überlegung ergibt sich aus der zweiten und hängt damit zusammen, dass die Psychoanalyse im Laufe der Zeit in eine Wissenschaft der analytischen Therapie
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