Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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verwandelt worden ist. Dies entspricht aber nicht ihrem beruflichen Horizont , nämlich der Entwicklung einer allgemeinen Wissenschaft von der Psyche, ob nun von Phänomenen, die als pathologisch gelten oder (wie zu zeigen Freud nie müde wurde) für normal erachtet werden. Die Theorie multipler Felder ging aus dieser Kritik hervor und sollte der psychoanalytischen Methode wieder zu ihrem Recht verhelfen, einer Methode, die unter theoretischen Doktrinen verschüttet und in den Techniken der klinischen Praxis verloren gegangen war. Weil sie sich als Beitrag zur Entwicklung einer allgemeinen Wissenschaft von der Psyche versteht, ist sie nicht lediglich eine weitere Schule, sondern eine Interpretation der Psychoanalyse. Das Wort Methode hat eine lange Geschichte. Etymologisch verbindet es die Bedeutungen von metá (hinterher, hinternach) und hodós (Weg). Vor und nach dem Positivismus – im Positivismus bezeichnet es System, Klarheit, Wiederholung, Beweis – bedeutete „Methode“ in erster Linie Bewegung / Entwicklung sowie Art und Weise, Modus. Als Freud die Psychoanalyse erfand, haben sich Fragen nach dem Wesen ihrer Methode nicht gestellt. Im anerkannten epistemologischen Sinn war die Methode unproblematisch, weil sie in jeder der Freud’schen Analyse und vor allem in seinen Schriften verkörpert war. In jeder Disziplin bezeichnet der Begriff „Methode“ die Form des Prozesses, durch den Wissen erworben oder produziert wird, sowie die Form des produzierten Wissens – das heißt, die Form seiner empiria (Forschungsquelle), des spezifischen von ihm postulierten Universums. Psychoanalytische empiria ist zuallererst die psychoanalytische Arbeit, und die psychoanalytische Form der Produktion von Wissen ist die psychoanalytische Deutung. Was den Versuch betrifft, diese vielgestaltige Operation der psychoanalytischen Deutung zu bestimmen, warnt Hermann davor, die Deutung lediglich als Äquivalent von Übersetzung zu betrachten. Zudem, so Hermann, besitzt die psychoanalytische Deutung extreme Suggestionskraft, und zwar nicht nur für den Patienten, sondern auch für den Analytiker. Die Theorie multipler Felder versteht unter Deutung einen Prozess, der die Psyche für neue Bedeutungen öffnet , die zuvor verstellt waren. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, ist das Unbewusste nicht mehr als das Set emotionaler Regeln, die die Bedeutungen des Diskurses in jedem Moment der Analyse drastisch auf ebenjenes Thema eingrenzen, dass der Patient zu entwickeln versucht – ein Feld psychischer Kräfte, das die meisten seiner emotionalen Konnotationen auszuschließen versucht. Feld bezeichnet hier das gewissermaßen umgekrempelte Freud’sche Unbewusste, das heißt nicht unbedingt einen Widerstand, sondern eher die Produktion konventioneller Bedeutung. In der Rupturierung eines Feldes durch die psychoanalytische Methode ermöglicht der Analytiker das Auftauchen anderer emotionaler Bedeutungen, die er dann in Erwägung zieht. Fabio Herrmanns theoretischer Beitrag der Theorie multipler Felder ist insbesondere in Brasilien eine originäre kritische heuristische Überlegung. Nach

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