Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Ein analytisches Feld ist demnach ein Ort/eine Zeit mit zwei Personen (Analytiker und Patient), die an demselben dynamischen Prozess beteiligt sind. In diesem Prozess wird jeder der beiden Beteiligten nur unter Bezugnahme auf den anderen verständlich. Beide konstituieren eine spezifische Struktur, die unbewusste Phantasie der Dyade , die mehr ist als die Summe der Aspekte beider Partner. In diesem Kontext beschrieben die Barangers ein Felderzeugnis, das sie als Bastionen bezeichneten. Solche Bastionen treten auf, wenn Anteile des Patienten und Anteile des Analytikers in eine defensive Struktur einbezogen oder in sie verstrickt werden. Die Bastion kann wie ein statischer Fremdkörper wirken, während der analytische Prozess scheinbar seinen Lauf nimmt; sie kann aber auch das gesamte Feld okkupieren und pathologisch werden. Das Konzept der Bastion hat Ähnlichkeit mit dem des chronischen Enactments (Cassorla 2005). Auf dem Weg über diese Weiterentwicklungen wurde das Enactment-Konzept von der lateinamerikanischen Kultur sehr rasch aufgenommen. Der konzeptuellen Klärung zuträglich waren zeitgenössische Studien lateinamerikanischer Autoren über Symbolisierungsprozesse (Cassorla 2001, 2005, 2009; Sanchez Grillo 2004; Sapisochin 2007, 2013; Gus 2007; Paz 2007; Borensztejn 2009; Rocha 2009; Schreck 2011).

IV. MODERNE ENTWICKLUNGEN UND VERWENDUNGEN DES KONZEPTS IN NORD- UND SÜDAMERIKA UND IN EUROPA

IV. A. Lateinamerika: Entwicklungen und klinische Relevanz Klinische Situationen wie die in der Literatur beschriebenen Enactments geben im Allgemeinen eine Handlungsweise oder ein abruptes Verhalten zu erkennen, das dem Analytiker das Gefühl vermittelt, seine analytische Funktion eingebüßt zu haben. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn er verblüfft registriert, dass er sich ironisch, aggressiv oder verführerisch verhalten hat. Unter Umständen fällt ihm auch auf, dass er uninteressiert ist oder dass er die Sitzung vorzeitig oder mit Verspätung beendet hat. Vielleicht erkennt er, dass ihn die interessanten Geschichten seines Patienten über Gebühr faszinieren; möglich ist auch, dass er mit dem Patienten streitet. In all diesen Fällen merkt er, dass seine Analysefähigkeit beeinträchtigt ist. Er ist bestürzt darüber und bekommt Schuldgefühle. Später wird ihm vielleicht bewusst, dass er mit Aspekten, die der Patient projiziert hat, identifiziert war. Speziell diese Phänomene sollten als akute Enactments bezeichnet werden (Cassorla 2001). Manchmal ist das Verhalten des Analytikers offensichtlicher als das des Patienten. Es wird mit dem Begriff Gegenübertragungsenactment bezeichnet. Cassorla (2005, 2008, 2012, 2013) zeigt in seinen Untersuchungen über Borderline-Konfigurationen, dass die analytische Dyade schon lange, bevor es zu

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