Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Entstehung eines stabilen, resilienten Selbstgefühls setzt die Fähigkeit voraus, die depressive Position zu erreichen, in der eine Affektregulation möglich wird (Klein 2000 [1946]). Somit dient die depressive Position der Entscheidungsfähigkeit als Grundlage, einer charakteristischen Eigenschaft der Entwicklung des Selbst. Klein benutzt den Begriff „Selbst“/“self“ häufig und gleichbedeutend mit „Ich“/ „ego“. Ein feiner Unterschied zwischen Ich und Selbst besteht bei ihr darin, dass dem „Ich“ oft eine aktive Rolle in der Entwicklung des Kindes zugeschrieben wird. Dazu ein Beispiel aus „Die Welt der Erwachsenen und ihre Wurzeln in der Kindheit“ (Klein 2000 [1959]): „Im Lichte meiner psychoanalytischen Arbeit mit Kindern erkannte ich, dass Introjektion und Projektion von Beginn des Lebens an wirksam sind und zu den frühesten Aktivitäten des Ichs zählen, das seine Funktionen meiner Ansicht nach bereits zum Zeitpunkt der Geburt aufnimmt“ (S. 393). Der Begriff „Selbst“ hingegen wird häufiger im Zusammenhang mit den Objektbeziehungen verwendet, z.B. bei der Beschreibung der paranoid-schizoiden und der depressiven Position und ganz allgemein zumeist dann, wenn Klein den Beitrag erörtert, den die frühen Beziehungen zur Entwicklung der frühkindlichen Psyche leisten. Darüber hinaus findet das Selbst in Kleins Theorie der projektiven Identifizierung in der von Ängsten ums Selbst beherrschten paranoid-schizoiden Position seinen Platz. In „Neid und Dankbarkeit“ unterscheidet Klein im Zusammenhang mit der Untersuchung der für die paranoid-schizoiden Position konstitutiven Spaltungsprozesse das starke Ich, das sich mit einem einzelnen Objekt zu identifizieren vermag, von einem schwachen Ich, das sich unterschiedslos mit zahlreichen Objekten identifiziert. So schreibt sie: „Zudem vermittelt die umfassende Identifizierung mit einem guten Objekt das Gefühl, daß auch das eigene Selbst gut ist. Wenn dieser Entwicklungsverlauf scheitert, führt die exzessive projektive Identifizierung zur massiven Verwirrung zwischen dem Selbst und dem Objekt, in das abgespaltene Selbstanteile in so hohem Maße projiziert werden, daß es als Repräsentant des Selbst erlebt wird“ (Klein 2000 [1957], S. 306). IV. WEITERE WELTWEIT EINFLUSSREICHE ENTWICKLUNGEN DES KONZEPTS: BRITISCHE OBJEKTBEZIEHUNGSTHEORIEN DER MIDDLE GROUP UND POSTFREUDIANISCHE STRUKTURTHEORIE Insgesamt gesehen, wird das Selbstkonzept als solches vorwiegend in der postfreudianischen Psychoanalyse verwendet. In Europa geht es in erster Linie auf Konzeptualisierungen in den Objektbeziehungstheorien der britischen Middle Group zurück. In Nordamerika, wo verschiedene Formulierungen des Selbst sowie der Objektbeziehungen allen psychoanalytischen Konzeptualisierungen zueigen sind, erfolgte der nächste Schritt in der Entwicklung des Selbstkonzeptes innerhalb der postfreudianischen Weiterentwicklungen der Strukturtheorie/Ich-Psychologie.

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