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V. SCHLUSSBETRACHTUNG
Eine gravierende Destabilisierung der analytischen Dyade (akutes Enactment) zeigt unter Umständen an, dass ein zuvor chronisches Enactment aufgelöst wurde und nun in der Analyse aktiv ist. Der Analytiker muss diesen Zustand identifizieren, ihn zu verstehen versuchen und daran anschließend deuten, was geschehen ist. Das analytische Feld kann zerstört werden, wenn diese Aufgabe ignoriert wird oder das chronische Enactment erneut auftritt. Darüber hinaus kann der Analytiker weitere Aspekte chronischer und potentiell akuter Enactments identifizieren, indem er seine Aufzeichnungen noch einmal durchsieht, sie überdenkt oder mit Kollegen bespricht. Enactments enthalten unter Umständen wichtige Bedeutungen, was die Entwicklung des Patienten und die Dynamik des Prozesses betrifft. Ihnen zuzuhören, sie zu verstehen und zu deuten kann dem Auftauchen unsymbolisierter somatischer Äußerungen und dem Agieren des Patienten im Alltagsleben vorbeugen. Der Druck, den die nicht erinnerten und nicht vergessenen Vorgänge und Geschehnisse aus den allerersten Lebensjahren – sowie die transgenerational vermittelten Erfahrungen – auf die aktuellen Beziehungen und Beschäftigungen der Patienten ausüben, wird dadurch geringer. Analytiker können von der Position des empathischen Verstehens aus auch besser begreifen, was ein Patient durchlebt hat, und seine mutative, emotional bedeutungshaltige psychoanalytische Erfahrung auf diese Weise vertiefen und erweitern; davon profitiert auch ihr eigenes multidimensionales Sich-Einlassen auf den psychoanalytischen Prozess. In allen drei psychoanalytischen Kulturen herrscht die Auffassung vor, dass Enactments verstanden und schließlich gedeutet werden müssen; für sehr wichtig hält es man es aber auch, die Art von Gegenübertragungsenactment im Blick zu behalten, bei dem die eingeschränkte Containment-Fähigkeit des Analytikers nicht nur nonverbal, sondern auch verbal und sogar, in eine Deutung gewandet, verbal kommuniziert werden kann. ***** Eine umfassende nordamerikanische Übersichtsdarstellung zum Thema Enactment bieten Ellman und Moscowitz (1998). Enactment: Toward a New Approach of the Therapeutic Relationship (Library of Clinical Psychoanalysis). New York: Jason Aronson, Inc. Eine internationale, multitheoretische Übersicht bieten W. Bohleber, P. Fonagy, J. P. Jiménez, D. Scarfone, S. Varvin und S. Zysman (2013). Toward a Better Use of Psychoanalytic Concept: A Model Illustrated Using the Concept of Enactment. Int J Psycho-Anal, 94:501-530. (2013) Für einen besseren Umgang mit psychoanalytischen Konzepten, modellhaft illustriert am Konzept »Enactment«. Psyche – Z Psychoanal 67(12): 1212-1250.
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