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selbst bewundert zu werden. Die gelungene wechselseitige Regulation dieser grundlegenden Bindungsbeziehungen zu Individuen und die Zugehörigkeit zu Gruppen (Familie, Peers etc.) führen zu Veränderungen im Selbstgefühl und im Anderen und schaffen eine positive allgemeine Atmosphäre, die alle künftigen Erwartungen und Anpassungen beeinflusst. Neben dem Kernselbst-Gefühl, dem Gefühl von Identität und Personalität, gibt es ein Selbsterleben, das sich gemäß der Vielfalt von Intentionen und Ziele verändert. Lichtenberg (1989) beschrieb insgesamt fünf Motivationssysteme: (1) die psychische Regulation körperlicher Bedürfnisse, (2) Bindung und Affiliation, (3) Exploration und Selbstbehauptung, (4) aversive Reaktivität und (5) sexuelle und sinnliche Bedürfnisse. In normalen Anpassungssituationen verändert sich das Selbstgefühl je nach Dominanz, Präsenz oder Abwesenheit der Bedürfnisse nach physiologischer Regulation oder nach Bindung an Individuen und Affiliationen mit Gruppen. Auch das Bedürfnis, Fürsorge zu spenden oder zu empfangen, die eigene Umgebung zu erforschen oder sich für eigene Präferenzen stark zu machen, Aversion durch Antagonismus und Rückzug zu äußern und/oder sinnliche Lust und sexuelle Erregung zu suchen, verändern das Selbstgefühl (Lichtenberg 2008). In Reaktion auf chronischen und/oder traumatischen Stress kann das Selbstgefühl fragmentierten und in dissoziierte Zustände zerfallen, die das Individuum durch eine pathologische Anpassung einschränken und sein Selbstgefühl in regressiven und depressiven Zuständen schwächen. Angriffe auf das Gewahrsein der eigenen Urheberschaft, auf die Selbstachtung und das Selbstwertgefühl beeinträchtigen das Selbstgefühl v.a. bei Menschen, die zu Scham- und Schuldgefühlen neigen und ihren Stolz und ihre Zuversicht leicht verlieren, und können Wut, Misstrauen und obsessive Rachephantasien auslösen. Das Gefühl der Selbsturheberschaft wird durch erlebte Empathie gestärkt und aufrechterhalten, während Brüche in der empathischen Verbundenheit oder das Fehlen empathischer Bezogenheit leicht zum Verlust der Selbstkohäsion führen (Kohut 1977). Howard Bacal (1985, 1998) beschreibt als Produkte der wechselseitigen Befruchtung von Selbstpsychologie und relationaler Theorie die „relationale Selbstpsychologie“, deren Fokus auf den Kontext der subjektiven Beziehung und nicht auf die Beziehung als solche gerichtet ist. Er stellt die Rolle, die die „optimale Frustration“ in der Entwicklung und in der Therapie spielt, infrage und plädiert dafür, die Formulierung „optimale Responsivität“ zur Beschreibung dessen, was das Selbst braucht, zu verwenden. V. C. Interpersonale und Relationale Perspektiven Als Nordamerikaner betrachtete Harry Stack Sullivan (1953, 1964) die Psychiatrie als Grundlage der Erforschung zwischenmenschlicher Beziehungen. Er formulierte ein Verständnis des Selbst und seiner Entwicklung, das sich von dem seiner Kollegen aus der klassischen Psychoanalyse erheblich unterschied. Stark beeinflusst
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