Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Schemata, um der Welt eine Bedeutung abzugewinnen, und diese Schemata werden dann, sofern sie funktionieren, wiederholt benutzt. Levenson sah in ihrer Starre bzw. Flexibilität eine Möglichkeit, Psychopathologie zu beschreiben. Er war überzeugt, dass die Notwendigkeit der kontinuierlichen Anpassung an eine in ständiger Veränderung begriffene Umwelt zur Entwicklung einer Psyche führte, die als ein selbstorganisierendes System funktioniert (Levenson, Hirsch, and Iannuzzi 2005, S. 612). Er räumt ein, „dass es im Individuum etwas Autonomes gibt, das von ihm organisiert, erlebt, benutzt, entfernt und reorganisiert wird“ (ebd., S. 613). Das heißt, dass Levenson das Selbst als einen Prozess und nicht als Struktur konzipiert.

VI. WEITERE UND ZEITGENÖSSISCHE ENTWICKLUNGEN DES SELBSTKONZEPTS IN EUROPA

VI. A. Der Beitrag der modernen britischen Objektbeziehungstheorien Christopher Bollas hat zahlreiche Schriften über das Konzept des Selbst, über seine Entstehung und Formierung und über das Selbstgefühl verfasst. Er wurde von Winnicotts Annahme eines „wahren Selbst“ beeinflusst und entwickelte es auf originäre Weise weiter. In seinen einschlägigen Beiträgen nimmt er häufig Bezug auf Literatur, Dichtung und bildende Künste. In „Forces of Destiny“ schreibt Bollas (1989): „Als Winnicott den Begriff ‚wahres Selbst‘ für ein ererbtes Potential einführte, das seinen Ausdruck in spontaner Aktion findet, konzeptualisierte er meiner Meinung nach ein Merkmal der analytischen Beziehung (und des Lebens), das bislang von der Theorie übersehen worden war. […] Winnicotts Theorie des wahren Selbst ist nach meiner Ansicht […] ein Konzept, mit dem wir etwas beschreiben können, das wir über die Analyse wissen, aber bislang noch nicht haben denken können.“ (S. 8) In seinen Schriften formulierte Bollas seine eigenen Gedanken zum wahren Selbst und ging dazu über, es mit dem Ausdruck „Idiom“ zu bezeichnen – u.a. deshalb, weil ein Begriff „durch Überbeanspruchung seine Bedeutsamkeit verlieren“ kann – „[…] durch die häufige, beschwörende Berufung wird er abgewertet wie das ungedachte Potential eines jeden Wortes“ (Bollas 2000 [1992], S. 65) –, aber auch aufgrund seines Wunsches, in diesem schwierigen Gelände seinen eigenen Weg zu finden. In dem Kapitel „The psychoanalyst’s multiple function“ aus „Forces of Destiny“ (Bollas 1989) schreibt er:

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