Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Form“ und seine Überlegungen zur idiomatischen Objektverwendung, die er in „Forces of Destiny“ (Bollas 1989) angeschnitten hatte, weiter aus. So schreibt er: „Das Idiom, das jeden Menschen prägt, ist kein latenter Bedeutungsinhalt, sondern eine Ästhetik in der Persönlichkeit“ (Bollas 2000 [1992], S. 65). Unser Idiom ist „unser Mysterium“ (ebd., S. 52). Es kann nicht gekannt oder durch Introspektion erfasst werden. Wir werden dem wahren Selbst als solchem – dem eigenen wie dem der Anderen – nie begegnen, werden nie wissen , was es ist. Seine Abkömmlinge aber können wir intuitiv ganz ähnlich erspüren, wie wir das Unbewusste – nur – durch seine Abkömmlinge erspüren können. Laut Bollas findet das persönliche Idiom Ausdruck in der Objektwahl und Objektverwendung, und zwar sowohl im Sinne des Übergangs (an dem innere und äußere Realität aufeinander treffen und die Frage, was von Innen und was von Außen kommt, in der Schwebe bleibt) als auch im „objektiven“ Sinn, in dem man dem Objekt in seiner Eigenschaft, von Grund auf es selbst zu sein, begegnet – also außerhalb des Bereichs der Projektionsmechanismen. Bollas spricht hier von der „Integrität eines jeden Objekts“ (ebd., S. 61). So schreibt er: “Wenn das Idiom also das Es ist, mit dem wir geboren werden, und wenn dieses Idiom Vergnügen daran findet, sich durch die Wahl von Objekten weiterzuentwickeln – eine Wahl, die eher eine Geistesverfassung, weniger ein Ausdruck innerer Inhalte ist -, dann kollidiert seine Arbeit mit der Struktur der Objekte, die dieses Idiom transformieren, wodurch es seine genauen inneren Inhalte erhält. In dieser Dialektik der Kollision zwischen der Verfassung des Menschen und der Struktur des Objekts liegt günstigstenfalls eine Lebensfreude, denn der Mensch nährt sich von solchen Begegnungen.“ (Ebd., S. 60) Wiederholt diskutiert Bollas das tiefe “Selbstgefühl”. In dem Kapitel “What is this thing called self?” in “Cracking up – the Work of Unconscious Experience” (Bollas 1995) bezeichnet er es als „ein separates Gespür. Ein Gespür, das in jedem Menschen, der mit dieser Fähigkeit zu spüren geboren wird und sie mehr oder weniger weiterentwickeln wird, nur ein Potential ist“ (S. 154). Diese Art Selbstgefühl kann blockiert und zunichte gemacht werden, wenn die idiomatischen Äußerungen des Individuums in seinem Leben allzu selten auf sensible Reaktionen treffen, so dass sich in ihm ein Gefühl der Leere und Kontaktarmut ausbreitet. Das Selbstgefühl, so Bollas, ist „ein Gefühl des eigenen Seins, das Gefühl, dass etwas da ist, aber nicht etwas, das man berühren oder kennen kann; nur spüren, und es ist das wichtigste Phänomen, das wir in unserem Leben überhaupt spüren können“ (ebd., S. 172).

VI. B. Italienische Beiträge Während Theorien des Selbst in der britischen Psychoanalyse innerhalb der objektbeziehungstheoretischen Tradition entwickelt wurden, verdankt sich das

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