Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Körpers im Raum baut der Säugling sein Selbstgefühl auf. Das körperliche Funktionieren (die Funktionen der verschiedenen Organe) ist die Sprache des Körpers; diese Körpersprache wird auf dem Weg, auf dem sie (irgendwie) psychisch wird, zur Sprache des Selbst. So schreibt Gaddini: „Jedesmal, wenn wir auf das Selbst Bezug nehmen, haben wir unmittelbar mit einer psychischen Aktivität zu tun, die auf irgendeine Weise mit dem Körper zusammenhängt (zu tun hat). […] Zu den den Funktionen des Selbst zählt auch die Kontrolle der organischen Körperreaktionen“ (Gaddini 1977, S. 264). Psychische Aktivität geht aus Körpererleben hervor und hilft dem Kind, Desintegrations- und andere Ängste zu meistern. Seine Phantasie hilft ihm, sich vor der Desintegration zu schützen. Anne Alvarez Alvarez wurde in Kanada, in den USA und in Großbritannien ausgebildet und gehört mehreren kinderanalytischen Gesellschaften in Nordamerika und Europa an. Alvarez arbeitet als Kinder- und Jugendlichenpsychoanalytikerin in post- kleinianischer Tradition. Sie entwickelte ihre Konzepte auf der Grundlage ihrer intensiven Erforschung von – und klinischen Arbeit mit - Kindern mit Autismus- Spektrum- und anderen Entwicklungsstörungen. Ihrer Auffassung nach „ist es fast unmöglich, das Selbst anders als in Objektbeziehung zu denken“ (Bach et al. 2000, S. 11). Drei Faktoren haben sie bewogen, sich mit dem Thema der Selbstheit zu beschäftigen: „Der erste ist die Arbeit mit autistischen und unter Deprivation leidenden Kindern, deren Selbst kaum sichtbar oder praktisch nicht-existent ist. Manchmal ist dies auf ein allzu dominantes Objekt zurückzuführen, in anderen Situationen auf ein Objekt, das gleichfalls kaum existent ist. In diesem Fall kann es vorkommen, dass das Kind beinahe nicht menschlich wirkt. Der zweite Faktor ist die Erforschung des Neugeborenen, und der dritte die Erforschung extrem früher Ebenen des Funktionierens bei Kindern mit schwerwiegenden Entwicklungsverzögerungen“ (ebd., S. 12). Indem Alvarez (1992, 1999) das Selbst und seine frühesten Ursprünge erforschte, erweiterte sie die kleinianische Theorie über die Ängste um das Selbst, die die paranoid-schizoide Position beherrschen, und vertrat die Ansicht, dass nicht nur die Ängste von Menschen, deren Funktionsniveau der paranoid-schizoiden Position entspricht, sondern auch ihre Bedürfnisse mehr Aufmerksamkeit verdienen, als ihnen traditionell zuteilwurde. Weil das Selbst und die Objekte sowie ihre jeweiligen Teile sich miteinander mischen, hat die Frage, wo das Selbst endet und wo die inneren Objekte beginnen, wichtige klinische und technische Implikationen. Wenn man von der allgemein geteilten Annahme ausgeht, dass innere Objekte keine exakten Reproduktionen oder Repräsentationen äußerer Objekte sind, sondern vielmehr ein Amalgam aus äußeren Gestalten und aus Projektionen von Selbstanteilen, und wenn man sich ferner das Selbst als ein Amalgam aus einem inneren Kern und aus Identifizierungen und internalisierten

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