Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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und diffusen Offenheit für emergente Prozesse, die auf ein Bearbeiten unbewusster Phantasien abhebt, unterscheidet. Zu den Analytikern, die mit diesem spezifischen Aufmerksamkeitsmodus in Verbindung gebracht werden können, gehören (wenngleich nicht ausschließlich) freudianische und neofreudianische Theoretiker, kleinianische und neokleinianische Theoretiker (z.B. LaFarge 2000, 2017), interpersonale/relationale Theoretiker (Sullivan 1940) und ich-psychologische Theoretiker (Jacobs 1986, 1991; Poland 1996). Auch Arnold Modells (1978) Verständnis der Affekte und der Komplementarität von Biologie und historischer Bedeutung sowie Heinz Hartmanns und Ernst Kris’ (Hartmann und Kris 1945) genetischer psychoanalytischer Ansatz wären hier zu nennen. Ein solches Vorgehen kann Interventionen begünstigen, die darauf zielen, traumatisch dissoziierte Selbstanteile zu korrigieren, wiederherzustellen und/oder zu integrieren, so dass abgespaltene oder dissoziierte Selbstzustände auftauchen können. Die Hinwendung zum lebensgeschichtlichen Narrativ des Analysanden (einem Narrativ, das sich während des gesamten analytischen Prozesses entfaltet) kann später aber auch die assoziativen Verknüpfungen lenken. Auf der abstrakten theoretischen Ebene debattiert man heute darüber, dass Richtungen, die mit diesem Ansatz arbeiten, womöglich die Produktion unbewusster Phantasien einschränken, was zu einer Verarmung der unbewussten Phantasie zugunsten der Identifizierung lebensgeschichtlicher Wiederholungen führen könnte . (Obwohl dieses Argument nicht stichhaltig ist, weil lebensgeschichtliche Rekonstruktionen immer und unweigerlich durch unbewusste Phantasie mitgestaltet werden [siehe Erreich 2003], wird es immer wieder vorgebracht.) Ausgetragen wurde diese Polemik von Foehl (2013a, b), Donnel B. Stern (2013a, b) sowie Ferro und Civitarese (2013a, b) und anderen Teilnehmern eines zweiteiligen Panels. Foehl (2013a, b) betont den gemeinsamen Kontext, in dem sich interpersonale und Feldtheorien entwickelt haben, und verweist insbesondere auf die Schriften Merleau-Pontys. Seiner Ansicht nach käme ein epistemologischer Pluralismus der Arbeit in verschiedener Hinsicht zugute. Stern (2013 a, b) identifiziert hingegen wesentliche Unterschiede zwischen interpersonalen und bionianischen Feldtheoretikern und behauptet, dass letztere die symmetrische Beteiligung des Analytikers am Feld (d.h. sein Sich-Einlassen auf die Beziehung und die Wechselseitigkeit [‚relational engagement‘ und ‚mutuality‘] unberücksichtigt ließen. Eine interpersonale Feldtheorie betont, so Stern, das unbewusste Sich-Einlassen nicht nur auf der Phantasieebene, sondern auch auf der Ebene des Verhaltens des Analytikers im Verlauf der Behandlung. III. Ab. Diffuse Aufmerksamkeitsausrichtung Die zweite Haltung beruht auf einer diffusen Ausrichtung der Aufmerksamkeit für emergente Prozesse, einer unfokussierten Rezeptivität, die in erster Linie auf die Erweiterung des Spiels unbewusster Prozesse zielt, deren Auftauchen in all ihren

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