Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Charakter/Figur, 2. Zuschauer, 3. Ko-Autor, 4. Regisseur, 5. Kritiker und 6. Licht- und Tontechniker. Eine diffuse Aufmerksamkeitsausrichtung geht mit einer Art des Denkens einher, das durch analoge, synthetisierende Kognitionsmodi charakterisiert ist, einem kognitiven Prozess von der Art: „Dies ist wie jenes“. Ein solches Denken ist global rezeptiv für affektive Veränderungen und auftauchende Erfahrung. Analoges Denken ist metaphorisch, poetisch und lässt Unterschiede vorübergehend außeracht. Diese Form der Kognition entspricht der Art von Denken, die durch die nicht-dominante (rechte) Hirnhemisphäre vermittelt wird (Watt 1990, 2019; Schore 2011). Es handelt sich um einen rezeptiven Aufmerksamkeitsmodus, der insbesondere für visuell- räumliche (piktoriale) Bilder und affektintensive Verarbeitungsformen empfänglich ist, die auch in den Reverien des Analytikers auftauchen können. Donnel B. Stern (1990) würde diesen Modus des Analytikers vielleicht als „Leitkanal“ [„conduit“] bezeichnen, eine aktive Rezeptivität für unbewusste Kommunikation, die mit Bions „negativer Fähigkeit“ oder mit Laplanches (1999) Konzipierung des „Trogs“ vergleichbar ist, also einer erneuten Öffnung der Einhegung der psychoanalytischen Situation und der (gefürchteten) Übertragungsechos entspricht. Diese Haltung privilegiert die Bearbeitung des Feldes mit dem Ziel, emergente Wachstumsprozesse zu fördern. Diese können auch die verbale Äußerung solcher Prozesse mit sich bringen, doch dies ist nicht zwangsläufig der Fall. Projektive Identifizierungsprozesse können auftauchen und für beide Mitglieder der Dyade funktionelle Rollen definieren, aber beide Beteiligte werden als Teil eines einzigen dynamischen Prozesses betrachtet, der den gesamten Kontext einschließt (Baranger und Baranger 2008). Diese Prozesse werden als emergente Eigenschaften der gemeinsamen inneren Phantasie des Paares oder des Traumfeldes betrachtet. Es handelt sich hier um einen weiten Blickwinkel , der Bemühungen um Wachstum und kreative Elemente privilegiert. Die mehr oder weniger kontinuierliche Rezeptivität für emergente Prozesse dient der Erzeugung und Bearbeitung unbewusster Phantasie als primäres und erwünschtes Produkt des analytischen Austauschs. Wenn der Analytiker in erster Linie diese Haltung des Zuhörens einnimmt, versucht er, die Anliegen des Analysanden gründlicher zu bearbeiten, um auf diese Weise zuvor nicht repräsentierte, „ungeträumte“ Zustände zu containen und zu symbolisieren. Die Suche nach traumähnlichen Bildern wird mit dem Ziel privilegiert, die Ängste des Analysanden und die aus ihnen hergeleiteten Bedeutungen zu transformieren. Weil die Privilegierung dieser Aufmerksamkeitsausrichtung die Erzeugung unbewusster Bilder in einem traumähnlichen Kontext begünstigt, hört man gelegentlich den Einwand, dass Analytiker, die überwiegend mit diesem Ansatz arbeiten, das lebensgeschichtliche Narrativ des Analysanden (und die damit einhergehende Mythenbildung, d.h. persönliche Hermeneutik) vernachlässigen oder sogar ignorieren .

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