Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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bezeichnet sie als psychoanalytische Psychotherapie. Andere Analytiker hingegen verzichten bei Patienten mit vergleichbarer Pathologie auf Modifizierungen. Sie halten die Standardmethode für notwendig und für möglich (H. Rosenfeld 1978). Dieser unterschiedliche Ansatz spiegelt unterschiedliche theoretische Sichtweisen der Psychopathologie wider und hängt bisweilen auch mit unterschiedlichen Formen dieser Psychopathologie zusammen. Auch Psychoanalytiker wie Krejci (2009) oder Bateman und Fonagy (2013), die die Theorie des Mentalisierens formuliert haben, sind der Auffassung, dass schwerkranke Borderline-Patienten, die extrem agieren, nur behandelt werden können, wenn das Setting modifiziert wird.

VI. WEITERE ENTWICKLUNGEN DES KONZEPTS

Einige Autoren unterscheiden zwischen „Rahmen“ [frame, encuadre] und „Setting“. Sie definieren den Rahmen als das vom Analytiker bereitgestellte Setting, in dem sich ein analytischer Prozess entfalten kann, und vergleichen ihn mit der Rahmung eines Bildes (Milner 1952a). Als Setting bezeichnen sie den Prozess an sich. Milner maß dem Rahmen im Hinblick auf die Unterscheidung von Innen und Außen besondere Bedeutung bei: Der Rahmen zeigt, „dass das, was sich innen befindet, auf andere Weise wahrgenommen und gedeutet werden muss als das, was sich außerhalb befindet“. Der Rahmen „grenzt einen Bereich ab, in dem das, was wahrgenommen wird, nicht wörtlich, sondern als Symbol, als Metapher, zu verstehen ist“ (S. 80f.). Rycroft (1958) und Heimann (1957) sprachen statt vom Rahmen von „Figur und Hintergrund“. Andere Autoren benutzen die Begriffe „Rahmen“ und „Setting“ als Synonyme. Auch in diesem Artikel werden sie gleichbedeutend verwendet, sofern nicht anders angegeben. Lacans (1958-1997) Experimente mit den zeitlichen Aspekten des Rahmens gaben Anlass, die klinischen und theoretischen Implikationen des klassischen Settings gründlich zu überdenken. Zu seinen Neuerungen zählte das Postulat des Analytikers als „Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird“. Dieses Konzept trägt der notwendigen intersubjektiven Asymmetrie der analytischen Beziehung Rechnung und beleuchtet zugleich auf ironische Weise den normativen Anspruch jener Analytiker, die ihren Patienten als Verkörperung deren gesunden Ichs gegenübertraten. So gesehen, ist der klassische Rahmen inhärent paradox. Er ist an sich nicht „autoritär“, sondern ermöglicht es, dass diese imaginäre Projektion des Patienten toleriert und nach und nach in der Deutungsarbeit aufgelöst werden kann (Lacan 1947-1997, 1945-1966). In einer Reihe bislang nur auf Französisch vorliegender Texte untersuchte Aulagnier (1968, 1969, 1970, 1977) die unvermeidliche Verflechtung des Subjekts in die Projektionen des Anderen. Sie erläuterte, dass der Patient durch die an ihn gerichtete Aufforderung, alles zu sagen, was ihm durch den Kopf geht, „in einen Zustand der absoluten Sklaverei versetzt werden kann, der einen sprechenden Roboter aus ihm macht“. Sie analysierte

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