Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Der Herausgeber der Complete Works of W.R. Bion , Chris Mawson , bringt die Verlagerung in Bions Denken von der Epistemologie ( Learning from Experience ) zu mentaler Weiterentwicklung und psychischem Wachstum ( Transformations ) tatsächlich mit Diskussionen in Verbindung, die Bion und Betty Joseph Mitte der 1960er Jahre miteinander geführt haben (Mawson 2019, S. 619). Für Joseph bedeutet „Sein“, zu beobachten, wie die inneren Objektbeziehungen des Patienten in der Gegenwart der Sitzungen ausgedrückt und ausgelebt werden. Bions Auffassung von einer intrinsisch unkennbaren Realität ist in Josephs Werk und vielleicht in den Arbeiten vieler anderer kleinianischer Analytiker nicht zu finden, wohl aber in den Schriften des britischen „unabhängigen“ Analytikers Michael Parsons : „Die existenzielle Ungewissheit zu wissen, dass wir nie endgültig sicher sein können, wer wir sind oder was wir tun, hat etwas Schreckliches. Sie verlangt, in Bions Terminologie, nach einem Glauben an O in der Psychoanalyse“ (Parsons 2005, S. 32). III. Cd. Avner Bergsteins Synthese In einer kreativen Synthese des zeitgenössischen britischen, italienischen und lateinamerikanischen Denkens rekurriert der isrealische Analytiker Avner Bergstein (2018) auf „objektzentrierte“ und „feldzentrierte“ post-bionianische Perspektiven, die er im Kontext der Komplexitätstheorie (Bergstein 2018) weiterentwickelt. In diesem Kontext stützt er sich auf Chuster (2014) und Meltzer (1986) und vollzieht Bions Übergang von einer kausalen/erklärenden Haltung zu einer solchen nach, welche die Ungewissheit, die der unendlichen Komplexität menschlicher Entwicklung und persönlicher Beziehungen inhäriert, zu verstehen und anzunehmen versucht. Seiner Ansicht nach handelt es sich um einen Übergang von einem endlichen zwei- oder dreidimensionalen Raum zu einem unendlichen, komplexen, multidimensionalen Raum, den die Persönlichkeit mit vorherrschenden psychotischen Mechanismen häufig auf einen eindimensionalen Punkt reduziert. Insbesondere im Bereich des nicht verdrängten Unbewussten der psychotischen Persönlichkeitsanteile, die zusammenzubrechen und zu fragmentieren drohen, kann die tiefe klinische Anwendung der an Bion geschulten Komplexität, der Ungewissheit und des Unendlichen psychoanalytische Effektivität entfalten.

IV. SCHLUSS

Aufgrund seines hohen Abstraktionsgrades, seiner Dichte, Ambiguität und des zugrunde liegenden interdisziplinären Dialogs kann man Bions Transformations als sein schwierigstes Werk betrachten, das Leserinnen und Leser durchgehend vor Herausforderungen stellt.

799

Made with FlippingBook - Online magazine maker